Page - 291 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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291«Da
hat der Leidensweg erst begonnen …» |
Todesmärschen nach Mauthausen. Die einzige im MSDP nicht vertretene signifikante
Opfergruppe aus dem heutigen Serbien sind Roma, über deren Mauthausen-Erfahrun-
gen meines Wissens kaum etwas bekannt ist.
Alle vorgestellten Biografien zeigen, dass in der ersten Verfolgungsphase die Kolla-
boration eine wesentliche Rolle spielte. In vier von fünf Fällen waren einheimische Po-
lizeiorgane bzw. kollaborierende bewaffnete Verbände an der Verhaftung beteiligt : So
wurde der von Patriotismus motivierte Partisan Vlada Buljubaša von deutschfreundli-
chen Tschetniks an die Besatzer ausgeliefert, der kommunistische Widerstandsaktivist
Ljubomir Zečević wiederholt von der kollaborierenden serbischen Spezialpolizei ver-
haftet. An der Razzia, bei der Vladimir Jovanović verhaftet wurde, beteiligte sich die
Serbische Staatswache ; Ivan Herman wurde als Häftling eines ungarischen Zwangs-
arbeiterlagers von seinen Wächtern an die Deutschen ausgeliefert. Pavle Milošević
wiederum wurde zwar von der Gestapo verhaftet, seines Erachtens aber von einem
in seine Organisation eingeschleusten Kollaborateur verraten. Alle vier Überlebenden
aus dem «Militärverwaltungsgebiet Serbien» durchliefen außerdem das Lager Banjica,
an dessen Verwaltung serbische Polizeikräfte beteiligt waren.
Die erzählten Erinnerungen der aus dem «Militärverwaltungsgebiet Serbien»
stam menden Biografen an ihren jeweiligen Weg nach Mauthausen ähneln sich trotz
unterschiedlicher Hintergründe und Ausgangslagen in wesentlichen Elementen.
Geografisch führte der Weg nach Mauthausen vom Belgrader Bahnhof Topčider über
Ungarn und Wien nach Oberösterreich. Mit der Deportation gerieten alle vier Män-
ner in die absolute Verfügungsgewalt von nationalsozialistischen Funktionsträgern.
Die anfängliche Erleichterung, den Massenhinrichtungen in Banjica entkommen zu
sein, verwandelte sich bei Vlada Buljubaša, Ljubomir Zečević, Pavle Milošević und
Vladimir Jovanović während des Transports nach Mauthausen in neue Ängste und
Befürchtungen, zumal die rücksichtlose Behandlung der Gefangenen für die Zukunft
nichts Gutes verhieß.
Die Deportation nach und die Ankunft in Mauthausen erscheinen in den analy-
sierten lebensgeschichtlichen Erzählungen häufig als Präfiguration der Schrecken von
Mauthausen. Abgesehen von Vlada Buljubaša thematisieren alle Biografen die auf dem
Weg nach Mauthausen erlittenen und/oder bezeugten Misshandlungen, Entwürdigun-
gen und Entbehrungen. Während Vladimir Jovanović physische Nöte wie Durst her-
vorhebt, betonen Pavle Milošević und Ljubomir Zečević, die auf dem Transport von
mitgenommenen Lebensmitteln zehrten, eher die Ausweglosigkeit der Deportations-
situation und den Schrecken einer ungewissen Zukunft. Ivan Herman schließlich
wurde schon auf dem Todesmarsch nach Mauthausen Zeuge der rücksichtlosen Er-
schießung all jener, die nicht mithalten konnten, und erfuhr so bereits vor der Ankunft
in Mauthausen, wie wertlos das Leben eines Häftlings in den Augen der Wächter war.
So war bereits der Weg nach Mauthausen von Misshandlungen, Willkürgewalt und
Todesgefahr geprägt und vermittelte den Biografen damit einen Vorgeschmack des
Kommenden – eines qualitativ neuen Abschnitts ihres Leidenswegs.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen