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304 | Katrin Auer
dinnen aufgrund ihres assimilierten Lebensstils vor der nationalsozialistischen Ver-
folgung sicherer, da sie annahmen, dass der orthodoxe Charakter der jüdischen Ge-
meinde in Thessaloniki der Grund für die antijüdischen Maßnahmen gewesen war.60
Zum anderen war die christliche Bevölkerung zwar gegen antisemitische Einstellungen
nicht vollkommen immun, doch siegte ihr Humanitätsverständnis über etwaige Vor-
urteile.61 Viele Juden und Jüdinnen fanden Versteck in Athener Privathäusern oder in
den von den ELAS-Partisanen und -Partisaninnen kontrollierten Bergregionen. Um
den Behörden nicht aufzufallen, kamen Familien oft nicht in demselben Versteck unter.
Unter dieser Trennung litten die Kinder mehr als unter der Angst, entdeckt zu werden.
Auch die Lebensbedingungen in den Verstecken und die Gefahr, erkannt zu werden,
differierten stark. In manchen Fällen war es sogar möglich, sich außerhalb des Ver-
stecks als christliche Griechen auszugeben und sich in der unmittelbaren Umgebung
frei zu bewegen, während sich andere hingegen monatelang in Hütten, Scheunen oder
anderen unwohnlichen Verstecken aufhalten mussten und niemand von ihrer Existenz
wissen durfte.62
Neben der Bevölkerung setzten sich auch Kirche und Polizei für die verfolgten Ju-
den ein. Der Athener Erzbischof ließ Tausende Taufbescheinigungen rückdatiert aus-
stellen und sorgte dafür, dass 250 jüdische Kinder im Versteck überlebten. Der Athe-
ner Polizeichef gab 1200 falsche Ausweise aus und der Apostolische Nuntius versuchte
ebenso zu helfen wie mehrere Diplomaten neutraler Staaten.63 Selbst Premierminister
Ioannis Rallis protestierte – wie schon zwei Jahre zuvor sein Vorgänger General Tso-
lakoglou – am 7. Oktober 1943 in einem Memorandum an den deutschen Gesandten
Altenburg gegen die geplanten Deportationen.64
Doch die kommunistischen Partisanen boten nach dem Abzug der Italiener den
hilfesuchenden Juden und Jüdinnen die wohl sicherste Zuflucht, denn seit Mai 1943
kontrollierten EAM/ELAS einen Großteil des griechischen Festlandes und verfügten
über 30.000 männliche und weibliche Kämpfer
– darunter ca. 650
Partisanen jüdischer
Herkunft.65 Demgegenüber hatte der EDES Ende 1943 nicht nur ein Stillhalteabkom-
men mit der Wehrmacht getroffen, sondern nahm auch in Bezug auf die Verfolgung
der griechischen Juden und Jüdinnen eine passive – bzw. deutschen Berichten zufolge
sogar eine zustimmende – Haltung ein.66
SD-Jagdkommandos, Geheime Feldpolizei, Wehrmachtseinheiten und griechische
Sicherheitsbataillone verhafteten am 25. März 1944 auf dem gesamten Festland die
verbliebene jüdische Bevölkerung, nachdem bereits am Tag zuvor die Athener Juden
60 Vgl. Santin, Zeugnisse, S. 178.
61 Vgl. ebd., S. 106.
62 Vgl. ebd., S. 100.
63 Vgl. Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, S. 367.
64 Vgl. Mazower, Inside Hitler’s Greece, S. 251.
65 Vgl. Steven B. Bowman : Jewish Resistance in Wartime Greece, London/Portland, OR 2006, S. xxii.
66 Vgl. Fleischer, Griechenland, S. 263.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen