Page - 305 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
Image of the Page - 305 -
Text of the Page - 305 -
305Antisemitische
Verfolgung und antifaschistischer Widerstand im okkupierten Griechenland |
und Jüdinnen gefasst worden waren. In der nordgriechischen Stadt Ioannina lebte eine
2000 Menschen zählende Gemeinde. Die damals fast 20-jährige Fortuni Ghani berich-
tet über diesen Tag :
«Und eines Tages, eines bestimmten Tages, am 25. März 1944, dem Unabhängigkeitstag Grie-
chenlands, um sechs Uhr morgens klopft jemand an unsere Tür. Wir waren alle in unseren
Betten und es klopft an der Tür, ‹Schnell, schnell›, ‹Schnell, schnell› heißt es, ‹nehmt wenige
Dinge und versammelt euch an der Mole›.»67
In den Häusern herrschte Verwirrung, Aufregung und Angst, und man wusste nicht,
welche Sachen man mitnehmen durfte bzw. welche Kleidung man tragen sollte. Es
wurde den Familien nur gesagt, dass sie sich bis acht Uhr am Mavili-Platz beim See
einfinden müssten. Dort bestiegen die versammelten Juden und Jüdinnen Lastwa-
gen. Auf der Fahrt waren die Menschen auf den offenen Ladeflächen der Kälte und
dem Schnee ausgesetzt. Die dramatischen Ereignisse dieses Tages wurden von einem
Wehrmachtsfotografen, Mitglied einer sogenannten «Propagandakompanie», in einer
außer
gewöhnlichen, da seltenen Bilderserie festgehalten (siehe Abb. 1).
Ziel des Transports war Larisa, wo die Deportierten einige Tage lang in einem Sam-
mellager auf die Ankunft weiterer Transporte aus anderen griechischen Städten warten
mussten. Die Menschen litten dort sehr unter der Kälte, mussten tagelang auf bloßem
Zementboden ausharren und es wurden ihnen Schmuck und Wertgegenstände abge-
nommen.68 Ghanis Zwillingsschwester Chrysoula Eliassa berichtet auch von Akten
stiller Widerständigkeit :
«Wer aufs Klo ging, machte so und sah Perlen, Gold, Geld, Ringe, man warf es aus den Ta-
schen, dass es mit einem Ruck hineinfiel. Diejenigen, die diese Toilette putzten, die wurden
reich, die aus Larisa, weil die Deutschen wussten nicht, was wir machten.»69
Am 2. April 1944 ging aus der Hauptstadt der erste Deportationszug mit 1300 Perso-
nen in Richtung Norden ab, wobei mehrmals auf der Strecke weitere 3700 Juden und
Jüdinnen in die Waggons gepfercht wurden. Auf dem Weg nach Auschwitz machte der
Zug in Wien Halt, wo von insgesamt 80 Waggons sechs abgekoppelt und die darin be-
findlichen 150 Juden und Jüdinnen mit spanischer und portugiesischer Staatsbürger-
schaft in das KZ Bergen-Belsen weitergeleitet wurden. Von den ca. 4800 Menschen, die
am 11. April 1944 Auschwitz-Birkenau erreichten, wurden etwa 4000 sofort selektiert
67 AMM, MSDP, OH/ZP1/836, Interview mit Fortuni Ghani geb. Attas, Interviewer : Gregorios Psallidas,
Athen, 3. 3. 2003, Übersetzung, Z. 40–46.
68 AMM, MSDP, OH/ZP1/626, Interview Ovadia, Z. 42–50.
69 AMM, MSDP, OH/ZP1/837, Interview mit Chrysoula Eliassa geb. Attas, Interviewer : Gregorios Psallidas,
Athen, 3. 3. 2003, Übersetzung, Z. 115–118.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
back to the
book Deportiert nach Mauthausen, Volume 2"
Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen