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324 | Irina Scherbakowa
FĂĽr das weitere Schicksal der Rotarmisten nach der Gefangennahme spielte auch
die nationale Zugehörigkeit eine große Rolle. Jüdische Rotarmisten hatten kaum eine
Überlebenschance – sofern sie ihre Identität nicht verbergen konnten –, da sie sys-
tematisch ermordet wurden. Asiatisch aussehende Kriegsgefangene wurden ebenfalls
zum größten Teil in den Kriegsgefangenenlagern ermordet. Angehörige kaukasischer
Völker hatten dagegen aufgrund der Rassenpolitik der Besatzer eine Chance, besser be-
handelt zu werden. Dagegen scheint es nach den Erzählungen der Überlebenden kaum
von Bedeutung gewesen zu sein, ob jemand Russe, WeiĂźrusse oder Ukrainer war.18
Bei aller Einmaligkeit jeder einzelnen Biografie zeigt sich in den Interviews doch ein
Muster mit mehreren sich wiederholenden Schicksalen. Die Einlieferung von Kriegs-
gefangenen in das KZ Mauthausen war dabei kein Sonderfall, sondern eher ein ty-
pisches Beispiel des langen Weges der Kriegsgefangenen in die Konzentrationslager.
Anhand der biografischen Erzählungen kann man nachvollziehen, wie der Weg nach
Mauthausen fĂĽr die dort letztendlich Eingelieferten begann.
Die Schicksale der Kriegsgefangenen sind, was besonders hervorzuheben ist, auch
ein Beweis fĂĽr schwerste Fehler in der sowjetischen KriegsfĂĽhrung und zeugen von
dem Versuch, die Verantwortung fĂĽr die katastrophalen Niederlagen der Jahre 1941/42
auf die Rotarmisten zu schieben. Das offenbart sich in den brutalen Befehlen gegen
diejenigen, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren und dann sofort als Vermisste
galten und in allen offiziellen Dokumenten als «ehemalige Militärangehörige» bezeich-
net wurden.19 Dementsprechend hatten sie keinen militärischen Rang mehr und ihre
Familien bekamen während des Krieges keine staatliche Unterstützung. Der Satz, der
Stalin zugeschrieben wird : «Wir haben keine Kriegsgefangenen, wir haben nur Ver-
räter !», lässt sich auf seine Echtheit nicht prüfen, aber er ist bezeichnend für die Art
der Behandlung derer, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Auch laut § 193 des
Strafgesetzes der Sowjetunion war die «freiwillige» Kriegsgefangenschaft ein schweres
Verbrechen und wurde dem Vaterlandsverrat gleichgesetzt – und Strafen dafür waren
bis zur ErschieĂźung vorgesehen.20 Dies alles fĂĽhrte dazu, dass die Ăśberlebenden nach
1945 Angst hatten, die Wahrheit über die Umstände ihrer Gefangenahme zu erzäh-
len, da nur schwere Verwundung und Bewusstlosigkeit in den Augen der prĂĽfenden
len nun Andreas Kranebitter : Zahlen als Zeugen. Soziologische Analysen zur Häftlingsgesellschaft des
KZ Mauthausen, Wien 2014 (Mauthausen-Studien, 9), S. 48 f. u. 170. Danach waren 11.507 sowjetische
Kriegsgefangene im Lager registriert. Die Zahl der nichtregistrierten «K-Häftlinge» beträgt mindestens
2040 und maximal 5040, dazu kommen ca. 200 bis 300Â
Kriegsgefangene, die 1941/42 ohne Registrierung
in Mauthausen ermordet wurden.
18 Vgl. Pohl, Herrschaft der Wehrmacht, S. 230–238.
19 Es muss betont werden, dass es keinen Austausch der Namenslisten der Kriegsgefangenen zwischen den
kämpfenden Seiten gab.
20 Galina F. Stankowskaja etÂ
al. (Hg.) : Vojna glazami voennoplennych. Krasnoarmejcy v nemeckom plenu v
1941–1945 gg. Sbornik dokumentov [Der Krieg in den Augen der Kriegsgefangenen. Soldaten der Roten
Armee in deutscher Gefangenschaft 1941–1945. Quellensammlung], Perm 2008, S. 9.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen