Page - 331 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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331Schicksale
der Häftlinge aus der Sowjetunion |
Die Dauer der Haft in den Gestapogefängnissen war unterschiedlich : meistens einige
Wochen und danach folgte der Transport nach Mauthausen (oder erst in andere Kon-
zentrationslager). Das Endziel war natürlich niemandem bekannt.
Wege der «Ostarbeiter»
Die größte Gruppe der Häftlinge aus der Sowjetunion in Mauthausen waren zivile
Zwangsarbeiter, die zur Zwangsarbeit in das Deutsche Reich deportiert worden wa-
ren und deren Gesamtzahl in Mauthausen nach einigen Angaben über 18.500 lag.35
Nach der Katastrophe der ersten Kriegsmonate befanden sich etwa 60 Millionen Men-
schen in der Sowjetunion unter deutscher Besatzungsherrschaft. Davor musste die
Zivilbevölkerung die chaotische Flucht der Armeetruppen, die Panik der lokalen Re-
gierungs- und Verwaltungsbehörden und Plünderungen von verlassenen Lagern und
Läden erleben. Das hatte, vielleicht auf eine andere Weise als bei den Rotarmisten, auch
eine starke traumatische Wirkung für die Jugendlichen, die kurz zuvor in der Schule
nur von der Unbesiegbarkeit der Roten Armee gehört hatten. Ihre Erinnerungen sind
(so wie die Aussagen der Kriegsgefangenen) ein Beweis für die Katastrophe der ersten
Kriegsmonate und die Unfähigkeit der Regierung, die Zivilbevölkerung zu schützen
und rechtzeitig die Evakuierung zu organisieren.
Im Unterschied zu den meisten Kriegsgefangenen sind die «Ostarbeiter» etwas spä-
ter in das Deutsche Reich gekommen. Die Massendeportation der Zivilbevölkerung
aus den besetzten Gebieten begann im Frühjahr 1942. Aber ihre Erlebnisse davor, un-
ter der deutschen Besatzung, waren eindeutig für ihr weiteres Schicksal von Bedeutung.
Diese Erfahrungen waren viel mehr als bei den Kriegsgefangenen an die regionale
Situation gebunden ; vieles hing davon ab, ob jemand in Weißrussland oder in der Uk-
raine lebte, im Dorf oder in der Stadt. In diesem Sinne spielte auch die Frage der nati-
onalen Zugehörigkeit eine gewisse Rolle : In der Ukraine war die Stimmung gegenüber
den Besatzern anfangs positiver als in Weißrussland und Russland, die Auswirkungen
der deutschen Propaganda waren deutlicher spürbar. Die einige Jahre davor erlebte
Hungersnot und die Entkulakisierung in den Dörfern hatten vor allem in der Ukra-
ine Auswirkungen auf die Stimmung der älteren Generation gehabt ; es wurden nun
Hoffnungen wach, dass unter den Deutschen wenigstens die Kolchosen abgeschafft
würden. Aber spätestens mit dem Beginn der Deportationen, die die jungen Menschen
betrafen, änderte sich diese Stimmung. Von gewisser Bedeutung (besonders bei den
35 Konopačenkov, Sowjetskije usniki, S. 118. Nach Kranebitter, Zahlen als Zeugen, S. 149, waren 19.669
«Zivilarbeiter» im KZ Mauthausen registriert. Vgl. zu diesem Abschnitt auch : Irina Scherbakowa : Münd-
liche Zeugnisse zur Zwangsarbeit in Russland, in : Alexander von Plato et al. (Hg.), Hitlers Sklaven. Le-
bensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2008,
S. 241–254.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen