Page - 332 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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332 | Irina Scherbakowa
jungen Menschen) war es auch, dass sie Zeugen der Massenvernichtung ihrer jĂĽdi-
schen Nachbarn und MitschĂĽler geworden waren und dass die mit den Deutschen kol-
laborierende einheimische Hilfspolizei daran mitgewirkt hatte. Galina Siwoded konnte
dies in Saporoschje (Saporischschja) beobachten :
«Also wir sind nicht viel herumgegangen. Nur einmal bin ich in die Stadt gegangen […]. Da
habe ich gesehen, wie sie die Juden zu FuĂź wohin getrieben haben. Schrecklich. Eine alte
Frau, so wie ich jetzt eine bin, im Winter, kalt war’s, na gefroren hat’s, kalt war’s und sie war
barfĂĽĂźig, ohne Kopfbedeckung. Na, sie wurden zur Hinrichtung gefĂĽhrt, die Polizeiler haben
sie hingetrieben. Zu FuĂź. Kleine Kinder und Alte, die nicht [laufen] konnten, die haben sie
auf Pferdefuhrwerken transportiert. […] Einmal habe ich das gesehen. Aber sonst haben wir
versucht möglichst nirgendwohin zu gehen.»36
Der Massenmord an den Juden hatte einerseits einen Abschreckungseffekt, erzeugte
aber nicht nur Angst, sondern bei manchen (wie im oben angefĂĽhrten Beispiel) auch
Hassgefühle gegen die Täter. Andererseits war Antisemitismus auch vor dem Krieg
verbreitet gewesen und die antisemitische Propaganda der Besatzer konnte zum Teil
auf vorhandene Ressentiments aufbauen. Das Erlebte führte auch zur Verhärtung und
Abstumpfung der GefĂĽhle, es entwickelten sich brutale Ăśberlebungsstrategien, wo
Diebstähle gang und gäbe waren, wo Verrat und Denunziation von Nachbarn zum All-
tag gehörten. Aber die Zwangsarbeiter hatten in der Regel mehr Chancen zu überleben
als die Kriegsgefangenen – ihr Leidensweg begann eigentlich erst während der Depor-
tation in das Deutsche Reich. Von den Zwangsarbeitslagern der «Ostarbeiter» führte
ihr Weg zumeist ĂĽber Arbeitserziehungs- und Straflager in die Konzentrationslager,
wobei Mauthausen manchmal die letzte Station nach einer Reihe anderer Konzentra-
tionslager war – Sachsenhausen, Auschwitz, Ravensbrück. In dieser Gruppe finden
sich auch Frauen, die über mehrere andere Lager nach Mauthausen (hauptsächlich in
die AuĂźenlager) kamen.
Deportation
FĂĽr die als Zwangsarbeiter Deportierten unter den befragten Mauthausen-Ăśberle-
benden spielt der Moment der Verschleppung eine traumatische Rolle, und die Ge-
schichte der Deportation in das Deutsche Reich wird oft zu einem wunden Punkt in
der Erzählung. Das hängt wiederum damit zusammen, dass die Tatsache, dass man in
Deutschland gewesen war, in der Nachkriegszeit und eigentlich auch viele Jahre später
einen schwarzen Fleck in der Biografie bedeutete und einer beruflichen Karriere und
dem Beitritt in die Kommunistische Partei im Wege stand. Auch die kommunistische
36 AMM, MSDP, OH/ZP1/462, Interview mit Galina Korpowna Siwoded, Interviewerin : Alena Koslowa,
Saporoschje, 27. 9. 2002, Übersetzung, Z. 234–247.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen