Page - 334 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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334 | Irina Scherbakowa
«Und dann, als die Ernte zu Ende war, haben wir Erntedank gefeiert, und die Polizei ist gleich
gekommen, um eine Gruppe nach Deutschland zusammenzustellen – wir wussten nichts,
und weil wir ja fremd waren, hat der Vorsitzende uns der Polizei gegeben, genauer gesagt hat
nur mich gegeben […]. Ja, hat mich der Polizei gegeben, auf dem Fuhrwagen auf die Station
Magedowo, das ist 70Â Kilometer wahrscheinlich von dort, die Station Magedowo, auf die Sta-
tion gebracht, da abgegeben und da hab ich zwei Tage gewartet, in Transport haben sie uns
gesteckt und nach Halle in Deutschland gefahren.»38
Nadeschda Bulawa, Jahrgang 1923, stammt aus Donezk (damals Stalino). Sie erlebte
italienische Besatzungstruppen und berichtet ebenfalls, dass sie von einheimischen
Polizisten abgeholt wurde :
«Polizisten hatten wir da, mehr als genug. Na und wer war das ? Von uns welche, Russen,
aber Polizisten. Na, Scheusale waren das, schlimmer geht’s nicht. Ja. Na, und wir wurden im
Winter hinausgetrieben zum Räumen, zum Räumen des Flughafens, Schnee räumen. Und
den Ausweis haben sie uns abgenommen. Na, und dann sind wir nach Hause zurĂĽck und
wurden, wie sagt man, ĂĽberwacht wahrscheinlich. Diese Polizisten sind ja immer wieder zu
uns gekommen. Und dann, eines Tages, ist ein Polizist mit dem Gewehr gekommen und : ‹Los,
gehen wir !› Ich musste mit. Zur Arbeitsbörse oder was das dort war, ich weiß nicht, dort wa-
ren Millionen von Menschen. Dann haben sie uns abtransportiert […]. Dort war eine Schule,
in diese Schule wurden wir alle getrieben und am nächsten Tag wurden alle in Güterwagen
verladen und ab ging’s.»39
Arbeit in Deutschland, Fluchtversuche und Widerstand
Der Weg der Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen fĂĽhrte nicht automatisch ins KZ.
Zunächst erwartete sie in den «Ostarbeiter»-Lagern schwere körperliche Arbeit und
ständiger Hunger. Die miserablen, ja katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingun-
gen führten zu zahlreichen Fluchten. Die Fluchtversuche der «Ostarbeiter» wurden zur
häufigsten Protestform, die ihrem jungen Lebensalter und ihrer Naivität entsprach.40
Diese in vielen Variationen erzählten Fluchtgeschichten verdienen mehr Aufmerksam-
keit, wozu bei diesem kurzen Abriss leider keine Möglichkeit besteht. Denn gerade in
diesen Erzählungen erfährt man viel über das Verhalten der deutschen Bevölkerung
38 AMM, MSDP, OH/ZP1/651, Interview mit Iwan Dmitrijewitsch Sapirin, Interviewerin : Irina Ostrows-
kaja, Wolgograd, 23. 10. 2002, Ăśbersetzung, S. 2.
39 AMM, MSDP, OH/ZP1/152, Interview mit Nadeschda Filippowna Bulawa geb. Kislaja, Interviewer : Ki-
rill Wasilenko, Donezk, 16. 6. 2002, Übersetzung, Z. 15–27.
40 1943 stieg die Anzahl der Fluchtfälle von Zwangsarbeitern von 20.000 im Februar auf ca. 45.000 in der
zweiten Jahreshälfte. Mehr als die Hälfte der Geflohenen waren «Ostarbeiter». Herbert, Fremdarbeiter,
S. 309–313.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen