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336 | Irina Scherbakowa
da gekommen. Und da haben sie gedacht, dass wir das vielleicht sind. Und wir sind ihnen da
gerade über den Weg gelaufen.»44
Was andere Protestformen betrifft, so sind das hauptsächlich unterschiedliche Formen
des «Ungehorsams» wie Arbeitsbummelei, zum Beispiel durch die Vortäuschung von
Krankheiten. Fedor Ganitschenko, der im Sommer 1944 von Schönholz in ein anderes
Berliner «Ostarbeiter»-Lager kam, wurde wahrscheinlich verhaftet, weil er dort einem
Kameraden einen Finger abschnitt, damit dieser nicht mehr arbeiten musste. Manch-
mal genĂĽgte es, sich gegen Angriffe von Deutschen zur Wehr zu setzen. Nadeschda
Bulawa berichtet, dass sie verhaftet wurde, nachdem ein deutscher Junge eine Kastanie
auf sie geworfen und sie am Auge getroffen und sie ihn deshalb geschlagen hatte.45 In
seltenen Fällen wird, wenn auch undeutlich, doch über eine Form des Widerstandes
gesprochen, wie in der Geschichte, die Miron Abramow (geb. 1924) erzählt :
«Im Arbeitslager habe ich mich mit der Zeit mit manchen Kameraden … angefreundet …
Langsam haben wir angefangen Gespräche zu führen, über die Bedingungen oder über den
Krieg, die Front … Auf diese Weise sind wir … Ich glaube, es war eine Untergrundorgani-
sation von den Unseren … Wir haben einige Aufgaben erfüllt … Zum Beispiel : In der Nähe
unseres russischen Arbeitslagers gab es eines … mit französischen Kriegsgefangenen. Dazwi-
schen war nur Stacheldraht. Und wir waren mit denen ständig in Verbindung. Die haben uns
Flugblätter und Informationen gegeben. So haben wir bei uns, zwischen unseren ArbeiternÂ
…
So haben wir uns organisiert … Aber aktive Mitglieder waren wir nicht, wir waren nicht in
der Führung, nein, ich wusste nicht, wer in der Führung war … Ich war auch Komsomolze,
aber ich habe keinem darüber erzählt. Obwohl ich einen Zehnrubelschein mit Lenin darauf
bei mir hatte. Mein Gedanke war : wenn wir befreit werden, habe ich ein Leninporträt bei mir.
Andere Porträts von ihm gab’s nicht, ich war sehr stolz, dass ich es bei mir hatte.»46
In all diesen Fällen : nach missglückten Fluchtversuchen, Sabotage, Ungehorsam etc.,
wird dann die Haft in den Gestapogefängnissen beschrieben.
Im Gestapogefängnis
In den meisten Fällen wurden die Verhafteten in die Gestapogefängnisse gebracht, die
sich in der Nähe der «Ostarbeiter»-Lager befanden :
44 AMM, MSDP, OH/ZP1/660, Interview mit Fedor Filippowitsch Ganitschenko, Interviewerin : Alena
Koslowa, Saporoschje, 17. 10. 2002, Übersetzung, S. 10 f. Zu Tauschhandel und Schwarzmarktgeschäften
vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 296–298.
45 AMM, MSDP, OH/ZP1/152, Interview Bulawa, Z. 43–50.
46 AMM, MSDP, OH/ZP1/653, Interview mit Miron Erastowitsch Abramow, Interviewerin : Alena Koslowa,
Saporoschje, 16. 11. 2002. Wegen der Unklarheiten solcher Geschichten, die erzählt werden, entsteht lei-
der oft ein Gefühl, dass sie womöglich später konstruiert worden sind.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen