Page - 352 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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352 | Imke Hansen
ßungen der Einsatzgruppen zum Opfer gefallen waren, meist zunächst in Ghettos zu-
sammengefasst – sofern sie nicht gerade in der Roten Armee dienten. Im Zuge der
Auflösung dieser häufig nur kurz bestehenden Ghettos wurden die Menschen in der
Regel an einen abgelegenen Ort in der Umgebung gebracht und dort ermordet. Nur
wenige wurden in Konzentrationslager deportiert. Juden und JĂĽdinnen konnten aber
auch unerkannt als Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter nach Mauthausen kommen.
Angesichts dieser Vielzahl von DeportationsgrĂĽnden und Verfolgtengruppen wei-
sen die Wege und die Erfahrungen der Häftlinge eine solche Varietät auf, dass es kaum
möglich ist, die «ukrainischen Wege nach Mauthausen» als ein historisches Narrativ zu
konstruieren. Der folgende Text unterzieht daher drei Momente, die in jedem biogra-
fischen Interview vorkommen, einer näheren Betrachtung : den Wegbeginn, die Weg-
scheiden und die Weggefährten. Er analysiert, wie verschiedene Überlebende aus der
Ukraine diese Momente erlebt haben und erzählen.
Der Beginn des Weges in der Ukraine
Vor Kriegsbeginn hatten die Deutschen weder die Rekrutierung von sowjetischen
Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern und Zivilarbeiterinnen noch den Einsatz von
Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen insgesamt geplant. Im Gegenteil, gerade
die Beschäftigung von Sowjetbürgern und Sowjetbürgerinnen im Reich hatte das Re-
gime zunächst kategorisch abgelehnt. Als der gravierende Arbeitskräftemangel die
Beschäftigung von «Fremdarbeitern»37 vor allem in der Landwirtschaft notwendig
machte, griffen die deutschen Behörden zunächst auf die Insassen der Kriegsgefange-
nenlager zurĂĽck. Diese waren allerdings aufgrund der katastrophalen Bedingungen
in den Lagern in der Regel ausgehungert und krank. Da die wenigen, die ĂĽberhaupt
arbeitsfähig waren, den Arbeitskräftebedarf nicht deckten, begannen die Deutschen
im November 1941 mit der Rekrutierung von Zivilarbeitern und Zivilarbeiterinnen.38
Den «rassischen» und «sicherheitspolizeilichen» Vorbehalten gegen den Arbeitsein-
satz sowjetischer BĂĽrger insbesondere in der Partei und bei ReichsfĂĽhrer-SS Heinrich
Himmler wurde durch «umfangreiche polizeiliche Reglementierungen, sozialpoliti-
37 So wurden Arbeitskräfte bezeichnet, die nicht aus dem Deutschen Reich stammten, unabhängig davon,
ob es sich um ein freiwilliges oder ein Zwangsarbeitsverhältnis handelte.
38 Vgl. Rolf-Dieter MĂĽller : Die Rekrutierung sowjetischer Zwangsarbeiter fĂĽr die deutsche Kriegswirtschaft,
in : Ulrich Herbert (Hg.), Europa und der «Reichseinsatz». Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene
und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938–1945, Essen 1991, S. 234–250, hier 235 ; Ulrich Herbert : Arbeit
und Vernichtung. Ökonomisches Interesse und Primat der «Weltanschauung» im Nationalsozialismus,
in : ebd., S. 384–426, hier 399 ; Pohl, Herrschaft der Wehrmacht, S. 311 ; ders.: Fremdarbeiter. Politik und
Praxis des «Ausländer-Einsatzes» in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin/Bonn 21986 [1985],
S. 144 f., siehe auch S. 158–172.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen