Page - 559 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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559Evakuierungslager
Mauthausen |
gendwann merkte ich, wie jemand neben mir Zuckungen kriegte. Er schlug auf die Köpfe,
stieg über die Rücken, es gab keinen anderen Weg. Und plötzlich wurde es still, der Zug fuhr
los und ich schlief ein. Irgendwie wachte Gott ĂĽber diesen Schlaf. Wir wachten auf tschechi-
schem Gebiet auf. Als wir uns ansahen, hatte der eine Striemen auf der Stirn, der andere eine
gequetschte Schulter, zerrissene Sträflingsanzüge. Nun, und so brachten sie uns weiter und
weiter. Einige machten schon unter sich hin.»62
Von der Gewalt, die die SS-Männer gegen die Häftlinge ausübten, berichtet auch Jan
Wojciech Topolewski, der den Transport zusammen mit seinem Vater erlebte :
«Sie trieben uns auf eine Rampe zu den Waggons, bei denen SS-Männer standen. Mein Vater
trug eine Brille. Einer der SS-Männer trat auf meinen Vater zu, schlug ihm ins Gesicht, riss
ihm die Brille ab, warf sie auf den Boden und zertrat sie. Wenn ich selber ins Gesicht ge-
schlagen worden wäre, wäre es leichter zu ertragen gewesen. Aber als mein Vater vor meinen
Augen geschlagen wurde, das war ein ganz anderer Schmerz. Kein körperlicher, sondern ein
seelischer. Sie trieben uns in die Waggons. Der Weg war lang ; wir hielten irgendwo in Böh-
men an und wir alle drängten uns an die kleinen Fensterchen, um etwas Luft zu schnappen, es
war sehr schwĂĽl. Jeder wollte an diese Fensterchen kommen, also gingen wir abwechselnd hin.
Noch hatten die Menschen die Mentalität aus der Zeit vor dem Lager, noch war einer nicht
des anderen Wolf, noch half man sich. Die Aussichten aus diesen Fensterchen waren etwas
niederschmetternd : GrĂĽne Wiesen, auf denen KĂĽhe weideten, die Menschen gingen herum,
und wir hier blickten durch ein vergittertes Fenster und fuhren ins Ungewisse.»63
Ende September und Ende Oktober 1944 verlieĂźen auch zwei Transport mit weib-
lichen Häftlingen Auschwitz und wurden über Mauthausen in die Außenlager Hir-
tenberg und Lenzing gebracht. Die Berichte der Frauen ĂĽber diese beiden Transporte
unterscheiden sich ganz wesentlich von jenen der Männer aus Auschwitz und Płaszów.
In ihren Erzählungen ist vor allem der Moment, in dem sie für diesen Transport aus-
gewählt wurden, ein zentrales Thema ; der Transport selbst wird jedoch kaum erwähnt.
So erzählt Alexandra Michailowna :
«Sie haben uns ausgewählt und uns allen gestreifte Kleider und gestreifte Jacken ausgeteilt, Ja-
cke heiĂźt das bei ihnen, dann noch eine MĂĽtze, so eine, wie fĂĽr Kinder, an einer Schnur, auch
gestreift – eine Kapuze –, ja, und Dings, Schuhe – oben Gummi und unten aus Holz – die
Sohle, eine Holzsohle. Und dann – – wieder in einen Zug und ab ging’s, wohin, wissen wir
62 AMM, MSDP, OH/ZP1/069, Interview mit Henryk Nowicki, Interviewer : Piotr Filipkowski, Warschau,
14. 6. 2002, zit. nach Madoń-Mitzner (Hg.), Errettet aus Mauthausen, S. 124 f.
63 AMM, MSDP, OH/ZP1/594, Interview mit Jan Wojciech Topolewski, Interviewerin : Katarzyna Madoń-
Mitzner, Warschau, 20. 6. 2002, zit. nach Madoń-Mitzner (Hg.), Errettet aus Mauthausen, S. 125 f.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen