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18 Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Valentino Filipovic | Gespräche im Gehen
hat für den Passagier nicht die gleiche Bedeutung wie für diejenige Person, die am Flughafen
angestellt ist. „Orte und Nicht-Orte […] stehen sich somit nicht gegenüber wie Gut und Böse.“
(Augé 2000, S. 180)
Für das Interesse der ethnographischen Forschung steht nicht primär der Ort im Zentrum,
sondern seine „funktionale und expressive Perspektive“ (Rolshoven 2001, S. 106), zuallererst
„die Menschen, ihre kulturellen und sozialen Äußerungen, ihre Selbstwahrnehmung und ihr
Rollenspiel auf der städtischen Bühne.“ (Rolshoven 2017, S. 106)
Bewegen und Begegnen
Der Stadtforscher, der ich bin, geht neugierig und aufmerksam durch die Stadt. Dabei bevor-
zuge ich das Gehen in seiner Langsamkeit als philosophische und erkenntnisreiche Fortbewe-
gungsart: im Gehen entstehen Eindrücke, Gefühle, Gedanken und Ideen. Beim Gehen kann
der/die Stadtbewohner_in abschweifen und sich von der urbanen Kulisse und der Gesellschaft
anregen lassen, aber sich ihr auch entziehen. Das Gehen ist für den Stadtforscher in zweierlei
Hinsicht von Interesse: Er erkennt das „Gehen als individuelle Ausdrucksform und Fortbewe-
gung, als Mittel der Raumaneignung, aber auch der ethnographischen Erkenntnisgewinnung“
(Rolshoven 2017, S. 95).
Die Straße ist nicht nur der Raum der Fortbewegung, sondern ein Begegnungsraum der
Menschen. Die Stadt, in der wir leben, wäre nichts ohne die Menschen, welche uns begegnen,
denn „die städtischen ProtagonistInnen erfahren sich in Kommunikationssituationen, entwi-
ckeln sich im Austausch“. (Ebd., S. 106) Auf der Straße treffen sich bekannte wie unbekannte
Menschen und interagieren miteinander. Es begegnen uns Menschen, die wir kennen, und sol-
che, die wir noch nicht kennen. Manchmal wollen wir uns bekannten Menschen begegnen und
sie erkennen; manchmal wollen wir ihnen nicht begegnen, sondern nur aneinander vorbeigehen.
Die Begegnung macht die Stadt zu einem „‚Erlebensraum‘ […], ein offenes Territorium,
das mit anderen geteilt wird.“ (Ebd., S. 103) Im Moment der Begegnung oder Nicht-Begeg-
nung in der Stadt sind bedeutende Aspekte der individuellen Erfahrungen, Erinnerungen und
Erlebnisse erhalten, denn der gelebte Raum ist „Bedeutungsträger und ‚Medium des mensch-
lichen Lebens‘ […], der in der identitären Konstitution des Selbst einen entscheidenden Platz
einnimmt.“ (Ebd., S. 104)
Stadt empirisch begegnen
Ich habe diesen Aspekt der gelebten Stadterfahrung als Ausgangspunkt meines empirischen
Vorgehens genommen. Ich wollte herausfinden, wie für meine Gesprächspartner_innen die
Bewegung auf der Straße bzw. mit einer Straße und einem Ort in der Stadt passiert; und ich
wollte den Moment festhalten, wenn aus der Bewegung auf der Straße eine Begegnung wird.
Was überhaupt macht eine Begegnung in der Stadt aus: Ist es eine Begegnung mit anderen
Menschen, mit sich selbst oder sogar mit der Stadt und ihrer Umgebung als Ganzes?
Ich werde anhand von drei Interviewauszügen aus Gesprächen im Gehen zeigen, dass es
im Stadtraum Orte gibt, mit denen meine Gesprächspartner_innen individuelle Erfahrungen,
Erinnerungen und Erlebnisse in Verbindung bringen. Damit wird deutlich, dass die Straße
vielschichtig ist und unterschiedliche Ebenen umfasst, und dass es vor allem eine Ebene der
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Mobile Culture Studies, Volume 1/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 1/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 108
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal