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Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Sabrina Stranzl | “Your ignorance is more scandalous than my promiscuity” 45
unerwünscht sind, an den Rand gedrückt oder sogar gänzlich daraus verdrängt werden. Aber hat
nicht jeder Mensch ein „Recht auf Stadt“2? Ein Recht auf Straße und öffentlichen Raum?
Im Rahmen meiner bisherigen Forschung habe ich mich auf weibliche, heterosexuelle Sex-
arbeit im Stadtraum, speziell in den Städten Amsterdam, Den Haag, Graz und Wien fokus-
siert. Männer sind in offiziellen Statistiken in Österreich deutlich unterrepräsentiert und Trans-
genderpersonen überhaupt nicht ausgewiesen. Auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung
stehen Frauen im Vordergrund, Männer und Transgenderpersonen rücken dadurch in den
Hintergrund und werden meist unsichtbar.
Ich spreche im Folgenden von „Sexarbeit“, „sexuellen Dienstleistungen“ sowie von „Sex-
arbeiterinnen“, um deutlich zu machen, dass es sich hierbei um Arbeit – eine Form der Erwerbs-
tätigkeit – handelt, die der Existenzsicherung dient. Diese Begriffe sind Zuschreibungen, die
von Sexarbeits-Aktivistinnen selbst verwendet werden3.
In den Dialogen mit meinen Gesprächspartnerinnen habe ich deutlich gemacht, dass ich
Sexarbeit nicht per se mit Zwang oder Menschenhandel gleichsetze, mir aber bewusst ist, dass
Ausbeutung und Gewalt durchaus stattfinden. Das heißt auch, dass Sexarbeiterinnen nicht auf
einen Opferstatus reduziert werden, sondern sie in ihrer Vielfältigkeit und ihrer Handlungs-
macht wahrgenommen werden. Ich verwende den Begriff Sexarbeit gemäß dem „International
Committee on the Rights of Sexworkers in Europe“: „Sexarbeit ist definitionsgemäß Sex in bei-
derseitigem Einverständnis. Sex, der ohne dieses Einverständnis stattfindet, ist keine Sexarbeit,
sondern sexuelle Gewalt oder Sklaverei.“4
Recht auf Straße – Recht auf öffentlichen Raum?
Mit dieser grundsätzlichen Frage möchte ich in Anlehnung an Henri Lefebvre das „Recht auf
Stadt“ in Bezug zu dem Thema der öffentlichen Prostitution als diskriminierte Seite der bür-
gerlichen Gesellschaft setzen. In diesem Artikel werde ich anhand historischer, soziologischer
und kulturanthropologischer Eruierungen sowie Gesprächen und Beobachtungen aus meinen
Forschungen in Graz, Wien und Amsterdam skizzieren, wie Sexarbeit und die Menschen, die
dieser Tätigkeit nachgehen, aus diesem Recht auf öffentlichen Straßen-Raum verdrängt und
ausgeschlossen werden.
Die Menschenwerkstatt im Möglichkeitsraum
Henri Lefebvre schreibt, dass „die Straße der Schmelztiegel [ist], der das Stadtleben erst schafft
und ohne den nichts wäre“, denn „[a]uf der Straße, der Bühne des Augenblicks, bin ich Schau-
2 Henri Lefebvre: Das Recht auf Stadt. Hamburg 2016.
3 Die Verwendung des Terminus Sexarbeit geht auf die „internationale Hurenbewegung“ der 1980er Jahre zurück,
der Begriff selbst auf die Sexarbeits-Aktivistin Carol Leigh, die 1978 bei einer Konferenz in San Francisco für
die Verwendung des Begriffs Sexarbeitsindustrie („Sex Work Industry“) plädierte, da er ein breiteres Spektrum
an Tätigkeiten erfasst, der pejorativen Bezeichnung der Prostituierten eine weniger abwertende Haltung entge-
gensetzt und den Fokus darauf legt, „dass es sich bei Sexarbeit um Arbeit im Sinne einer Dienstleistung“ han-
delt. Vgl. Carolin Küppers: Sexarbeit. In: Gender Glossar / Gender Glossary, https://gender- glossar.de/glossar/
item/58-sexarbeit (Zugriff: 05.02.2019); vgl. Melissa Gira Grant: Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit. Ham-
burg 2014.
4 Manifest der SexarbeiterInnen in Europa. 2005, S. 3. http://www.sexworkeurope.org/sites/default/files/userfiles/
files/join/Manifest_DE.pdf (Zugriff: 05.02.2019).
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Volume 1/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 1/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 108
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal