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Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Sabrina Stranzl | âYour ignorance is more scandalous than my promiscuityâ 49
der âunehrenhaftenâ Frauen aufrecht zu halten, zu diskriminieren und zu stigmatisieren. Diese
vorhandene Form von sozialer Ăchtung schloss aber âdie Anerkennung ihrer gesellschaftlichen
NĂŒtzlichkeit nicht [aus]â, denn diese Doppelmoral âvon Akzeptanz und Entwertungâ war ein
Charakteristikum fĂŒr das Hochmittelalter, wie Silvia Kontos schreibt.27 Mit dem 17. Jahrhun-
dert ist es zu einer, um es mit Michel Foucaults Worten zu sagen, âDiskursivierung des Sexesâ28
gekommen: Wer spricht wie darĂŒber, wie werden Lust und Begehren formuliert und wie wird
Sex(arbeit) reguliert, kontrolliert und geordnet. Ab dem 18. Jahrhundert folgte die âPolizei des
Sexesâ: ânicht das strikte Verbot, sondern die Notwendigkeit, den Sex durch nĂŒtzliche und
öffentliche Diskurse zu regelnâ.29 Im 19. Jahrhundert wird der öffentliche Diskurs ĂŒber Sex-
arbeit durch zwei zentrale Aspekte markiert: einerseits âdie Sorge um die öffentliche Sicherheit
und Ordnungâ, anderseits die Politik der öffentlichen Gesundheit.30 Ab 1869 galt in Wien die
verpflichtende polizeiliche Registrierung von Sexarbeiterinnen. Vier Jahre spÀter, 1873, wurde
die Ă€rztliche Kontrolluntersuchung fĂŒr alle Frauen, die verdĂ€chtigt wurden, sexuelle Dienstleis-
tungen anzubieten, zur Pflicht und es kam zur EinfĂŒhrung des Gesundheitsbuches, das zuerst
nur provisorisch gedacht war, aber dann in Ăsterreich zum âDauerzustandâ31 wurde. Zwischen
1885 und 1973 konnten Sexarbeiterinnen ĂŒber das Vagabundengesetz immer und ĂŒberall mit
Freiheitsentzug geahndet werden.32 Die verschÀrfte Kontrolle, Regulierung und Marginalisie-
rung von Sexarbeit und der Diskurs darĂŒber reicht weit ins 20. Jahrhundert. Sexarbeit wird an
den Stadtrand verdrÀngt oder soll sogar generell aus dem Stadtbild verschwinden.
âDie GroĂstadt [...] ist der Schauplatz einer widerwĂ€rtigen Orgie bestialischer
kĂ€uflicher Liebeâ33
Es sind jedoch nicht nur Sexarbeiterinnen, die auf der StraĂe und in der Stadt nichts ver-
loren haben, auch âehrbareâ Frauen hatten sich nicht im öffentlichen Raum aufzuhalten. Im
Industriezeitalter hat es die Menschen in die StÀdte gezogen. Diese wachsenden StÀdte und
Menschenmassen wurden als bedrohlich und gefĂ€hrlich wahrgenommen. Ein âDurcheinander
aller Schichtenâ, wie Elisabeth Wilson schreibt, hat Unordnung und daraus resultierend âUnsi-
cherheit, Orientierungslosigkeit und BeĂ€ngstigungâ geschaffen.34 âDie StraĂe, als Ort der Ver-
fĂŒhrung, des Lasters, des Bösen sollte gemieden werdenâ35, die âanstĂ€ndigeâ Frau davor bewahrt
werden. Reformerinnen wie Josephine Butler und Journalist_innen schreiben von VorfÀllen
in dieser Zeit, wie zum Beispiel, dass âehrbareâ Frauen mit Sexarbeiterinnen auf der StraĂe
27 Vgl. S. Kontos: Ăffnung der Sperrbezirke, S. 21-22.
28 Michel Foucault: SexualitÀt und Wahrheit. Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main 1983, S. 1042.
29 Ebd., S. 1046.
30 Vgl. Andreas Brunner u.a. (Hg.): Sex in Wien. Lust. Kontrolle. Ungehorsam. Wien 2016, S. 220.
31 Werner Sabitzer zit. n. Helga Amesberger: Sexarbeit in Wien. Von Regulierungsversuchen, Arbeitsbedingungen
und Resistenz. In. Andreas Brunner u.a. (Hg.): Sex in Wien. Lust. Kontrolle. Ungehorsam. Wien 2016, S. 176-
183, hier S. 178.
32 Vgl. ebd., S. 176; vgl. A. Brunner: Sex in Wien, S. 220.
33 Elizabeth Wilson: Begegnung mit der Sphinx, Stadtleben, Chaos und Frauen. Basel/Berlin/Boston 1993, S. 103.
34 Vgl. ebd., S. 41.
35 Ketajun Dörfler: âRaum fĂŒr die eigenen FĂŒĂe?â â Spurensuche. In: Eva Kail, Jutta Kleedorfer (Hg.): Wem gehört
der öffentliche Raum. Frauenalltag in der Stadt. Wien 1991, S. 151-155, hier S. 151.
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Mobile Culture Studies, Volume 1/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 1/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 108
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal