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Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Sabrina Stranzl | “Your ignorance is more scandalous than my promiscuity” 57
hohen Verwaltungsstrafe belegt werden kann? Und, in weiterer Folge, ob es überhaupt sichtbare
Praktiken der Aneignung des Straßenraums gibt und inwieweit sie zulässig sind?
Resümeé
Wie diese Forschungsskizze veranschaulicht, ist der öffentliche Straßenraum in Bezug auf
Sexarbeit zu einem regulierten Ordnungsraum geworden. Die Historie zeigt, wie bereits Wal-
ter Siebel festgestellt hatte, dass der öffentliche Raum immer schon ein exklusiver Raum war
und der freie Zugang oder das Recht auf öffentlichen Straßenraum eine geschichtliche Utopie
ist.74 Denn immer schon gab es Ausgrenzungen und Beschränkungen von und für bestimmte
Menschen im öffentlichen Raum. Sehr lange galt das Recht auf Straße ausschließlich freien,
weißen (hetero-) Männern. Nur ‚unehrenhafte‘ Frauen – Sexarbeiterinnen – zeigten sich auch
im Straßenraum. Sie zeigten bereits damals eine Widerständigkeit, indem sie die ihnen zuge-
wiesenen Raumgrenzen überschritten.75 Gegen ein solches Brechen der Grenzen wurde mit
rigiden Versuchen von Regulierungen und Ordnungen, die sich auch in Gesetzestexten nieder-
schlugen, vorgegangen, was zu einer Verdrängung aus dem öffentlichen Raum und zu einer
Verhäuslichung der Sexarbeit geführt hat. Auch diese Illusionsheterotopien unterliegen noch
heute den immer wiederkehrenden Bestrebungen nach einem Verbot, das zur Abschaffung der
Sexarbeit führen soll. Doch mit diesen Verdrängungsmechanismen wird Sexarbeit nicht aus-
gelöscht, sondern lediglich unsichtbar gemacht. Somit wird jedes sichtbare Agieren auf oder das
Aneignen der Straße (fast) unmöglich gemacht und den Sexarbeiterinnen das Recht auf öffent-
lichen Straßenraum – auf Sichtbarwerdung – entzogen. Der öffentliche Straßenraum bleibt
somit ein diskursiver und materieller Verhandlungsraum oder gar Kampfraum um sozialen
Zugang oder Ausschluss – ein Raum, in dem zwischen heterogenen Menschengruppen stetig
Aushandlungen und Begegnungen stattfinden, genauso aber auch Kampf und Konflikt – ein
Raum, der exkludierend ist und in dem stigmatisierten, diskriminierten und marginalisierten
Menschen oftmals Raum genommen wird. Paola Coppola-Pignatelli schreibt:
„Auch metaphorisch bedeutet Raum haben, etwas machen können, handeln können, spre-
chen, entscheiden können. Der Raum, der physisch den einzelnen Individuen, Gruppen,
sozialen Klassen zugewiesen wird, das heißt, der Raum, über den sie konkret verfügen
können, ist auch der Maßstab ihrer realen Macht. An den Rand gedrängt werden bedeutet
Machtverlust.“76
Und doch kann sich Widerständigkeit im Sichtbaren und vor allem im Unsichtbaren ent-
wickeln und in Grenzüberschreitungen manifestieren.
74 Vgl. Walter Siebel: „Vom Wandel des öffentlichen Raumes“. In: Jan Wehrheim (Hg.): Shopping Malls. Inter-
disziplinäre Betrachtungen eines neuen Raumtyps. Berlin 2006, S. 77–94.
75 Vgl. Maja Nadig zit. n. Jutta Menschik-Bendele: Innerer Raum – äußerer Raum: Anmerkung zur weiblichen
Identität. In: Eva Kail, Jutta Kleedorfer (Hg.): Wem gehört der öffentliche Raum. Frauenalltag in der Stadt. Wien
1991, S. 79-82, hier S. 79.
76 Paola Coppola-Pignatelli zit. n. Eva Kail: Zum Phänomen der Verdrängung. In: Eva Kail, Jutta Kleedorfer (Hg.):
Wem gehört der öffentliche Raum. Frauenalltag in der Stadt. Wien 1991, S. 77-79, hier S. 77.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Volume 1/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 1/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 108
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal