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(2020)Christine
Fürst | Die Wiener „Mahü“ rund um die Uhr
einer Stadt; sie sind Ergebnis sozialer Prozesse, die Zeit in Anspruch nehmen, um sich zu ent-
wickeln.9 Im Österreichischen Jahrbuch für Politik 2014 ist zu lesen:
„Für eine europäische Stadt wie Wien ist der öffentliche Raum wahrscheinlich ‚die‘ urbane
Kernidee. In der Praxis wird der öffentliche Raum seit rund 50 Jahren der aufsteigenden
Massenmotorisierung und ruhelosen ökonomischen Durchdringung unterworfen, was den
öffentlichen Raum faktisch privatisiert.“10
In den 1970er Jahren wurden entgegen dem historisch gesellschaftlichen Leben auf der
Mariahilfer Straße die Fußgängerinnen und Fußgänger baulich und rechtlich zwingend auf
die Gehsteige verwiesen und somit diszipliniert und separiert. Den – den Autofahrerinnen
und Autofahrern zahlenmäßig überlegenen – Passantinnen und Passanten stehen nun weniger
öffentliche Flächen zur Verfügung als den fahrenden und parkenden Automobilist_innen.11
Fand vor der massenhaften Motorisierung das gesellschaftliche Leben – der Konsum, die Kom-
munikation und der Austausch – im öffentlichen Raum auf der Mariahilfer Straße statt, so
folgte jetzt der Rückzug ins Private, in den Innenhof und in die Wohnungen. Damit ging
auch der Charakter der Straße als Aufenthaltsort verloren, man befand sich nicht mehr auf der
Straße, man bewegte sich nur über sie.12 Nach Jahrzehnten war es den urbanistischen Visionen
der Wiener Stadtplanerinnen und Stadtplaner zu verdanken, so Christian Mertes und Werner
Pleschberger, dass eine „Rückkehr“ der vielen Fußgängerinnen und Fußgänger in den öffentli-
chen Raum denkbar und planbar wurde.13
Mit dem Wiener Regierungsübereinkommen vereinbarten SPÖ und Die Grünen im Jahr
2010 die Errichtung einer verkehrsberuhigten Zone bzw. einer Fußgängerinnen- und Fußgän-
gerzone in der rund 1,7 km langen Inneren Mariahilfer Straße. Das Prestigeprojekt der Grü-
nen sah vor, die bis vor dem Umbau mit bis zu 12.000 Fahrzeugen pro Tag belastete Durch-
zugsstraße im rund 450 Meter langen Kernbereich zwischen Kirchengasse und Andreasgasse
zu einer Fußgängerinnen- bzw. Fußgängerzone umzugestalten. Die angrenzenden Bereiche,
nämlich die rund 720 Meter bzw. 450 Meter langen Abschnitte zwischen Kirchengasse und
Getreidemarkt sowie zwischen Andreasgasse und Kaiserstraße, sollten als Begegnungszonen
ausgebaut werden.14 Immer wieder kam es zu Diskussionen über eine Verkehrsberuhigung der
Mariahilfer Straße, wobei sich die politischen Parteien keinesfalls einig waren. Im Herbst 2011
war die Bevölkerung der Anrainerbezirke zu einer dreitägigen Dialogveranstaltung geladen,
wobei von der Vizebürgermeisterin und Verkehrsreferentin zur Umgestaltung der Mariahilfer
Straße drei Vorschläge – eine klassische Fußgängerinnen- und Fußgängerzone, ein sogenannter
9 Walter Siebel: Was macht eine Stadt urban? Zur Stadtkultur und Stadtentwicklung. S. 7 und S. 15. www.oops.
uni-oldenburg.de/1232/1/ur61.pdf (Zugriff 02.02.2019).
10 Christian Mertes, Werner Pleschberger: Die „BürgerInnenbefragung“ zur Umgestaltung der Wiener Mariahilfer
Straße. Vision, Verlauf und Defizite einer urbanistischen Innovation. In: Österreichisches Jahrbuch der Politik
2014. S. 62: www.jahrbuch-politik.at/wp-content/uploads/205-79635_Khol_JahrbuchPol14_07_Mertens.pdf
(Zugriff 02.02.2019).
11 Vgl. ebd.
12 Vgl. Marion Gebhart: Restfläche Gehsteig. In: Kail, Eva, Kleedorfer, Jutta (Hg.), Wem gehört der öffentliche
Raum. Frauenalltag in der Stadt. Wien 1991, S. 47-60, hier S. 47.
13 Vgl. C. Mertes, W. Pleschberger: Die „BürgerInnenbefragung.
14 Vgl. Umgestaltung Mahü: www.wien.orf.at/news/stories/2616223/ (Zugriff 07.09.2018).
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Volume 1/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 1/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 108
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal