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18 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Joachim Schlör | Die Schiffsreise als Ăbergangserfahrung in Migrationsprozessen
Auf diese Weise könnte auch, was Todd Presner als âmobility studiesâ im Rahmen JĂŒdischer
Studien einforderte â âan attention to moving bodies, an emplotment of the places traversed,
and a visualization of narratives of dislocation, encounter, and dispersalâ 23 â nicht nur aufge-
griffen, sondern in die sich lÀngst auch in anderen Bereichen entwickelnden Mobile Culture
Studies integriert werden. hier findet sich denn auch die BrĂŒcke zu den Ăberlegungen, die
Johanna Rolshoven in ihren Kommentaren zum Grazer Workshop formuliert hat und denen
ich hier folge:24 Die in den BeitrÀgen erarbeiteten Themen lassen sich zunÀchst in einen raum-
theoretischen Zugang einordnen, der in Anlehnung an Maurice Merleau-Ponty und henri
Lefebvre dem komplexen Verflochtensein von erlebtem, sozialem und gebautem Raum Rech-
nung trÀgt.25 Die Erlebnisse der Migrantinnen und Migranten und ihre individuellen Schick-
sale â von den Amerika-Reisen der beiden frauen, von denen Ursula feldkamp berichtet, ĂŒber
die Appenzeller Auswanderer, deren Schicksal Sabine August studiert hat, bis zu den Berichten
der Ankömmlinge (aus verschiedenen herkĂŒnften) in Argentinien, die in den BeitrĂ€gen von
Arnd Schneider, Elisabeth Janik und Philipp Mettauer verwendet werden â spielen sich einem
sozialen, von politischen und ökonomischen Entwicklungen konstruierten Raum ab und sind
von dessen Regelwerken nicht unabhÀngig. Zugleich ist dieser Raum von einer materiellen
Kultur geprÀgt, von KonsulatsgebÀuden und Wartehallen, von hafenkais und von Schiffen,
von Etablissements also, die Bruno Latours Auffassung zufolge einen Akteurstatus einnehmen
können.26 Die âMensch-Ding-Beziehungenâ werden in den teils fast liebevollen, teils von gro-
Ăer EinschĂŒchterung geprĂ€gten Beschreibungen der Schiffe lebendig. Ein systemtheoretischer
Zugang, wie ihn der Soziologe und MobilitĂ€tsforscher John Urry vertritt,27 verweist darĂŒber
hinaus auf die Bedeutung der âVerkehrssystemeâ, die Organisation der Schiffsreisen etwa durch
Reedereien und hilfsorganisationen, die ihre je eigenen WirkungszusammenhÀnge hervorbrin-
gen und mit anderen Systemen (zum Beispiel der handhabung von Einreisebestimmungen
oder der Vergabe von Visa) in Kontakt treten. Rolshoven schreibt:
âInsgesamt liegt es nahe, bewegliche Situationen und Dinge mit dem anthropologischen
Interpretament des Ăberganges zu deuten. Der klassische, von Arnold van Gennep 1909
beschriebene theoretische Zugang zu kulturellen handlungen unterstreicht die soziale
23 Presner, Todd. 2009. âRemapping German-Jewish Studies: Benjamin, cartography, Modernityâ, German Quar-
terly 82, no. 3 (summer 2009), p. 298.
24 Rolshoven, Johanna. 2014. Die Schiffsreise als Ăbergang. Gedanken zur Heuristik des gesellschaftlichen Zwi-
schenraumes. Kommentar fĂŒr die WorkshopteilnehmerInnen âSchiffsreiseâ in Graz, Juni 2014, Zentrum fĂŒr
JĂŒdische Studien, Institut fĂŒr Volkskunde und Kulturanthropologie, KfU Graz. Als E-Mail am 26.06.2014 an
die Teilnehmenden verschickt.
25 Merleau-Ponty, Maurice. 2006 (1961). Das Auge und der Geist, in Raumtheorie â Grundlagentexte aus Philo-
sophie und Kulturwissenschaften, herausgegeben von Jörg DĂŒnne und Stephan GĂŒnzel, mit hermann Doetsch
und Roger LĂŒdeke (frankfurt am Main: Suhrkamp); LefĂšbvre henri. 1974. La production delâespace (Paris :
Editions Anthropos); vgl. Schmid, christian. 2006. Stadt, Raum und Gesellschaft: Henri LefĂšbvre und die
Theorie der Produktion des Raumes (Stuttgart: franz Steiner Verlag)
26 Latour, Bruno. 2007. Eine neue Soziologie fĂŒr eine neue Gesellschaft. EinfĂŒhrung in die Akteur-Netzwerk-
Theorie. (frankfurt am Main: Suhrkamp); vgl. auch Lash, Scott. 1999. âObjekte, die urteilen â Latours Par-
lament der Dingeâ, ĂŒbersetzt von Therese Kaufmann. instituto europeo para polĂticas culturales progresivas >
Transversal texts, <http://eipcp.net/transversal/0107/lash/de> [accessed 02.06.2015].
27 Adey, Peter and David Bissell. 2010. âMobilities, meetings, and futures: an interview with John Urryâ, Environ-
ment and Planning D: Society and Space 28, 2010, pp. 1â16; Adey,Peter. 2010. âJohn Urryâ, Key Thinkers on Space
and Place (London: Sage Publications), pp. 432â439.
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal