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60 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2015
Ursula Feldkamp | Seereiseerfahrungen in zwei Bordtagebüchern des 19. Jahrhunderts
und gehen auf erhaltene Briefe ein, sondern sie drücken darin ihre Verbundenheit mit den
Angehörigen aus, indem sie ihre Geburtstage oder Todestage erinnern oder sich auf regionalen
festen in der heimat wähnen, wie hier z.B. charlotte Schreiber:
„Ludwig und ich haben heute uns viel von Euch Lieben Unterhalten, den das große Kirch-
meßfest wird heute ja bei Euch gehalten; Es wird gewiß georgelt, und gedrehet, auf den
Straßen und gesungen, daß Euch die Ohren wohl lang werden von der Dudely. Auch
werden wir beyden auch wohl oft der Gegenstand sein von Eurer Unterhaltung, denn die
vielen Verwandten und Bekannten die heute zu Euch kommen werden gewiß nach uns
fragen wie es mit uns steht.“ (47) 2
Die Vorstellung der Gleichzeitigkeit des Erinnerns aneinander festigte das Gefühl der Verbun-
denheit zu den Angehörigen auch bei caroline von Aschen: „Ich dachte viel an Euch, meine
Lieben, ob Ihr wohl jetzt meinen letzten Brief schon hättet, gewiß wurde wenigstens lieb von
mir gesprochen.“ (14) Auf dem Meer diente den Menschen auch der himmel über dem Schiff
als Kommunikationsmittel. Im Bewusstsein der Seereisenden umfasste das himmelszelt die
ganze Erde; die Angehörigen in Europa blickten nach dieser Idee in den gleichen Raum wie die
Seereisenden. Diese Anregung diente der Kommunikation mit fernen Angehörigen, wie auch
mit Verstorbenen. Auch diese form des „Austauschs“ findet sich in Bordtagebüchern.
Die meisten Seeschiffe waren bis in die 1830er Jahre noch nicht auf die Beförderung von
vielen Passagieren eingerichtet. Das Geschäft der handelsschiffe bzw. ihrer Reeder mit Passa-
gieren beschränkte sich vor allem auf die Unterbringung von Kaufleuten, die an der Ostküste
der Vereinigten Staaten Niederlassungen gegründet hatten. Diese wohnten auf den frachtse-
gelschiffen mit dem Kapitän in der Kajüte, wo sie seinen Salon mitbenutzten und dort auch
gemeinsame Mahlzeiten mit ihm und den Steuerleuten einnahmen. Bei schlechtem Wetter
waren die Passagiere auf sich gestellt und wurden in der Kajüte eingeschlossen, um das Eindrin-
gen von überkommendem Wasser im Schiff zu vermeiden. Auch caroline von Aschen erwähnt
bang diese Möglichkeit:
„Die furcht, daß uns einmal die ungestüme See die fenster einstoßen (…) möchte machte,
daß die Laden [der Seitenfenster, U.f.] statt dessen eingesetzt wurden, also fällt nur das
Licht von oben herein, es ist auch hell genug, kommt nun aber Regen wie dieser Tage oft,
so muß auch das zu.“ (124)
caroline litt auch unter dem Mangel an Privatsphäre mit den fremden Leuten in der Kajüte.
„Es geniert doch immer in einem so engen Raum.“ (114) Auch die betuchten Passagiere reisten
also um 1800 höchst ungemütlich, zumal die gefürchtete Seekrankheit vor ihnen nicht halt
machte und unter den genannten Bedingungen wochenlang andauern konnte.
Briefe von Auswanderern mit Schilderungen ihrer neuen heimat sind relativ häufige
Quellen. Darin werden gewöhnlich die Perspektiven und Erwerbsmöglichkeiten in Amerika
vorgestellt und Gegebenheiten in der neuen Welt mit den Verhältnissen in Deutschland ver-
glichen. hingegen haben Aufzeichnungen, die im 19. Jahrhundert von Passagieren während
einer Überseereise verfasst wurden, einen völlig anderen Inhalt. fast immer thematisieren sie
2 Diese und folgende Ziffern beziehen sich auf die Seiten des Tagebuchs, wie in feldkamp 1991 angegeben.
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal