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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2015
Ursula Feldkamp | Seereiseerfahrungen in zwei Bordtagebüchern des 19. Jahrhunderts 61
die Zerrissenheit der Autoren, die Vergangenheit und Zukunft gegeneinander abwägen und
erlauben somit einen Einblick in Gefühlswelten von Menschen in der größten Umbruchphase
ihres Lebens. Diese Selbstzeugnisse sind Zeitdokumente von Personen, die unter normalen
Umständen nicht geschrieben hätten und deren Briefe von den Angehörigen als exotische, ein-
drückliche Dokumente für die Nachkommen bewahrt wurden. Solche Bordtagebücher von
Segelschiffen des 19. Jahrhunderts bilden ein eigenes Genre.
Neben Passagier-Bordtagebüchern gibt es auch Bordtagebücher von Seeleuten, die darin
ihre ersten Eindrücke aus ihrer Arbeitswelt als Schiffsjunge niederlegten und damit den Über-
gang von ihrer Kindheit in das Berufsleben dokumentieren. Auch Briefe und Bordtagebücher
von mitreisenden Kapitänsfrauen auf Großer fahrt im 19. Jahrhundert schildern biografische
Übergänge, denn für Kapitänsfrauen war die erste Reise fast immer die hochzeitsreise und
somit der Beginn des Ehe- und familienlebens, das für manche jahrelang überwiegend auf dem
Meer stattfand. Im 19. Jahrhundert dienten Seereisen den Kapitänen als Erwerbsquelle für eine
spätere Existenzgründung an Land. Deshalb betrachteten auch ihre mitreisenden Ehefrauen
die gesamte fahrzeit ihrer Männer als Übergang, der mit der Realisierung eines normalen
familienlebens an Land beendet war.
Caroline von Aschen und ihr Tagebuch von Bord der Bark „Batavia“
caroline von Aschen wurde am 14. februar 1769 als Tochter des Juristen heinrich von Aschen
und seiner frau Maria Magdalena, geb. Adler aus Stade, geboren. Diese starb 1772, als caroline
4 Jahre alt war. Im November 1800 starb auch ihr Vater, der bis dahin als Jurist im Bremer Rat-
haus beschäftigt gewesen war. Damit stand der Lebensunterhalt der unverheirateten 31-jährigen
caroline in frage. Die Gründe für ihre Reise nach Amerika und weitere Details ihrer Biografie
erschließen sich nicht aus dem Tagebuch und lassen sich auch mit hilfe genealogischer und
regionalhistorischer Untersuchungen nur bruchstückhaft erschließen. Aus dem Tagebuch ist
ersichtlich, dass caroline gemeinsam mit der Bremer Kaufmannsfrau de Block nach Baltimore
reiste, und eine Zeitlang als Gast ihrer familie, die dort eine Niederlassung besaß, lebte.
franϛois de Block war seit 1788 in Bremen Kaufmann und agierte als Geschäftspartner
der Bremer Kaufleute Arnold Delius und christian Adams in Baltimore. Es gelang de Block,
sich dort so weit zu etablieren, dass er seine frau nachholen konnte. Diese befand sich im März
1800 besuchsweise in Bremen. Möglicherweise hatte sie ihre Rückreise nach Baltimore mit der
„Batavia“ bereits gebucht und so das spontane Angebot gemacht, caroline nach Baltimore mit-
zunehmen. Ein Jahr nach ihrer Ankunft in Baltimore reiste caroline von Aschen nach Bremen
zurück. Aus dem Bordtagebuch geht hervor, dass ihre Reise nach Baltimore überstürzt erfolgte.
caroline erinnert sich in ihren kontinuierlich fortgeführten Aufzeichnungen daran, wie am 19.
März 1801 die Entscheidung für ihren Aufenthalt in Baltimore fiel und wie sie neun Tage später
schon auf einem Kahn in Richtung Brake unterwegs war und von dort am 28. März mit der
Bark „Batavia“ ihre Reise nach Baltimore begann:
„Den 19ten nachmittags 3 Uhr. – Um es zu vergessen, was mir seit einer 4tel Stunde so
schrecklich schwer auf dem herzen liegt, nehme ich die feder. An diesem, also in mehre-
ren Rücksichten so merkenswerthen Tage – Gott, vor einem Jahr um diese Tageszeit wußte
ich noch nicht ein Wort von meiner bestimmten Reise nach America, erst am Abend, jenem
schrecklichen Abend – gab ich mein Wort. Nie könnt’ ich das je vergessen.“ (108)
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal