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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2015
Ursula Feldkamp | Seereiseerfahrungen in zwei Bordtagebüchern des 19. Jahrhunderts 67
Ballast hatten und jetzt beladen sind. O, das ist ein erstaunt großer Unterschied, wie weit
weniger ein beladenes Schiff schlenkert!“ (129)
In ihrer aufgehellten Gemütslage berichtet caroline ein wenig mehr als auf der herreise über
die Schiffsgemeinschaft. Dabei wird offenbar, dass die Passagiere nicht von einem Schiffskoch
verköstigt wurden, wie später auf den großen Auswandererschiffen, sondern selbst kochten,
wobei sie einen Speise- und Aufgabenplan erarbeiteten. caroline konnte die Ankunft kaum
erwarten, und so berichtet sie, wie die Kajütenbewohner den Kapitän zu Vorhersagen über die
Reisezeit der „Jupiter“ überredeten:
„Manchen Scherz haben wir mit dem capt. wegen einer Anzahl Striche, welche wir mit
Kreide über den am caminplatz angeklebten Küchenzettel schrieben, es waren 30, und
wir erklärten dem capt., daß wir jede 24 Stunden einen davon auswischen würden, und
also nur 30 Tage in See sein wollten, er bedung sich aber dagegen aus, nur wenn er es uns
erlauben würde! Nun ist denn ein beständiges fragen und Quälen, dürfen wir heute denn
auch einen ausstreichen? und ein Jubel, wenn er ja sagt! Bis jetzt hatten wir die freude, es
fast jeden Tag thun zu dürfen, aber immer wird es wohl so nicht bleiben.“ (124)
carolines letzter Eintrag stammt vom 28. Juli 1802. Der Segler „Jupiter“ hatte vor Geestendorp,
dem heutigen Bremerhaven, die Anker ausgeworfen. Der Kapitän war mit einem Passagier an
Land gegangen, um sich nach einem „bequemen fuhrwerk“ oder einen Kahn nach Bremen-
Vegesack Ausschau zu halten. Die Passagiere wurden von Regen und Kälte empfangen, „recht
deutsches Wetter“, wie caroline findet. Doch bis zu ihrer Ankunft in Bremen sollte es nach
ihren Schätzungen noch zwei Tage dauern.
Die Geschwister Schreiber und das Tagebuch ihrer Auswanderung
mit dem Vollschiff „Goethe“ 1852
51 Jahre später machten sich die Geschwister Schreiber aus Quakenbrück von Bremen nach
Baltimore auf, weil sie sich wie Tausende anderer Auswanderer in Amerika ein besseres Leben
erhofften.
In den 1830er Jahren entwickelten vor allem Bremer Reeder ihr Konzept, Auswanderer im
Zwischendeck auf holzstellagen zu beherbergen, die nach der Ankunft im hafen entfernt wur-
den, um für Ladungen nach Europa Platz zu machen. Tabak und Baumwolle waren beliebte
Importgüter. Besser gestellte Passagiere logierten nach wie vor in der Kajüte, der 1. Klasse. Das
Geschäft mit dem Transport von Auswanderern bedeutete seit den 1840er und 1850er Jahren
für die großen deutschen hafenstädte, insbesondere Bremen mit Bremerhaven, einen enormen
wirtschaftlichen Schub. Manche Auswanderersegler transportierten bis zu 700 Menschen auf
engstem Raum, während in der Kajüte auf dem Achterdeck meist nur eine handvoll Menschen
untergebracht waren. Eine beträchtliche Anzahl von frauen und Mädchen reiste auch allein.
Im Zwischendeck, dem Armenquartier, wurden sie in einem eigenen Bereich untergebracht,
der ihnen aber wenig Schutz vor Belästigungen durch Männer bot, wie in Auswanderer-Rat-
gebern und in medizin-hygienischen zeitgenössischen Schriften immer wieder beklagt wurde.
Ludwig Schreiber gibt an, dass man in Deutschland „beym größten fleiße so viel verdienen
kann wie man verzehrt, an ein Weiterkommen an ein Erübrigen ist bey dem besten Willen
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal