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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Sabine August | Schweizer auf dem Weg nach Amerika 97
„Bis dahin wurden den Passagieren volle Rationen gegeben, nemlich wöchentlich Pfund
Zwiebak, Sonntags ein Pf. Rindfleisch mit Gersten, Montags ein Pf. Mehl, Dienstags ein
halb Pf. Spek, Mitwochs ein Pf. Mehl, Donnerstags ein Pf. Rindfleisch mit Erdäpfeln, frei-
tags ein Pf. Reis, Samstags ein halb Pf. Spek mit Erbsen, und wöchentlich ein Pf. Butter,
ein Pf. Käs; und endlich ein Maas Bier, ein Maas Wasser, ein Gläschen Brandtwein und
etwas Essig per Tag. heute wurden die Rationen fleisch auf die hälfte vermindert, weil die
Reise allem Anschein nach sich stark zu verlängern schien, und das Schiff nur auf 3 Monat
verprofiantirt war; diese Vorsicht war unser aller Glück.“
Am 9. August vermerkt derselbe anonyme Verfasser, dass „das Wasser, das in Amsterdam gefaßt
wurde (welches schon da nicht frisch zu bekommen ist), fieng an, äußerst eckelhaft zu werden.“
(anonym 1806, in Schelbert & Rappolt 2009: 184f.)
Aufgrund der eintönigen und vitaminarmen Nahrungsmittel bzw. der Mangelernährung
bestand vor allem die Gefahr von Skorbut, der Blutungen in Mund und Magen sowie gele-
gentlich Geschwüre verursachen konnte. Der anonyme Verfasser beschreibt, wie sich diese
Krankheit bei ihm äußerte: „Bis zum 6. September [1806] war der Scorbut in meinem Munde
aufs höchste gestiegen; Zähne, Zahnfleisch, Zunge, alles war brandschwarz, und die Zähne
ganz unbrauchbar. Wenige und schlechte Medikamenter und ein noch schlechterer chirurgus
waren vorhanden; indessen dauerte es nicht über 44 Tage, ich schlug am ganzen Körper aus,
auch zeigten sich hie und da Blutgeschwüre, worauf von allem Unheil hergestellt wurde.“ (ano-
nym 1806, in Schelbert & Rappolt 2009: 187f)
Langeweile
Die langanhaltende Zeit mit vielen Menschen verschiedener Nationalitäten eng zusammenge-
pfercht, in der man miteinander auskommen musste und nicht entkommen konnte, gestaltete
sich nicht einfach. Eine der vielleicht größten Schwierigkeiten der Passagiere war während der
unsteten Wetterverhältnisse und des Wellengangs das Nichtstun, die Langeweile, die Lethar-
gie, das „Einerlei der Reise“. So schreibt auch ein anonymer Briefeschreiber: „24., 25. und 26.
Oktober [1848]. Die Langeweile fängt an sehr überhand zu nehmen und Alles sehnt sich nach
dem Ziel der Reise. 45 Grad Länge, 25 Grad Breite. Überall Zank und Streit, daneben täglich
schlechter werdende Kost.“ (Samuel Mori 1885, in: Schelbert & Rappolt 2009: 225; anonym
1848, ibid.: 207)
Die Auswandererzeitung hatte vor trüben Gedanken auf See gewarnt, denn wer ein Leben
lang von früh bis spät gearbeitet habe, ertrage die Wochen des Nichtstun schlecht. Der Dorf-
schullehrer Thomas Davatz aus Graubünden verordnete sich aus diesem Grund 1855 ein straffes
Programm: Beobachtungen zu sammeln über die Witterung, vorbeifahrende Schiffe, fische,
das Auftauchen von Inseln und Küsten, sportliche Übungen zu machen, Gespräche zu führen
über Windverhältnisse und Sonnenstände sowie Prognosen über die Weiterfahrt zu führen. Die
Messresultate trug er in sein heft ein. „Nicht an Gefühle, an das Wäg- und Meßbare muß man
sich halten, Barbara. An die genaue Beobachtung, die ein Netz über alles legt, das fließende
einfängt.“ (hasler 1985:40ff.)
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal