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Mobile Culture Studies The Journal
Mobile Culture Studies - The Journal, Volume 1/2015
Page - 108 -
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Page - 108 - in Mobile Culture Studies - The Journal, Volume 1/2015

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108 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15 Elisabeth Janik | Reiseerfahrungen polnischer MigrantInnen „Als ich auf Deck stand, auf festen Beinen und breitem Schritt, ich freute mich, dass es kein hindernis mehr geben wird, nicht einmal eine Träne im Auge. Das Schiff war riesig und besaß tiefen Stauraum, obwohl der Wind von der Seite gegen das Schiff peitschte, schauke- lte es kaum, das Schiffstau war angespannt und wackelte […].“ (Konopnicka 2003, 5) So beginnt die poetische Erzählung Pan Balcer w Brazilii („herr Balcer in Brasilien“) der pol- nischen Schriftstellerin Maria Konopnicka. Entschlossen steht der Protagonist Balcer an Deck eines Schiffes und denkt über seine Situation und die Größe des Schiffes nach. Seinen Äuße- rungen nach zu urteilen, legt das Schiff gerade zur fahrt ab. Das Ziel dieser Reise ist Brasilien. Gleich mehrere Jahre nahm die Recherche zur Entstehung der Erzählung ein. Die Schriftstelle- rin befasste sich im Besonderen mit der polnischen Auswanderung nach Brasilien und sah vor allem die Gefahr vor der Reise und vor dem Scheitern in der fremde. Als das Werk 1910 auf Polnisch publiziert wurde, konnte Konopicka bereits auf eine Vielzahl an literarischen Werken zurückblicken und galt als etablierte polnische Schriftstellerin. (Mocyk 2005, 10ff.) Bei der pol- nischsprachigen Bevölkerung in den geteilten polnischen Gebieten in Preußen, Kongresspolen, Galizien und weiteren Teilen der habsburgermonarchie fand die Geschichte von herrn Balcer rasch Verbreitung, insbesondere unter den Auswanderinnen und Auswanderern erreichte die Erzählung einen hohen Bekanntheitsgrad. (Mocyk 2005) Das Gedicht war auch Reaktion auf das so genannte „Brasilien-fieber“, das in dieser Zeit umging und immer mehr Bewohnerinnen und Bewohner Osteuropas ansteckte. Dieser Ausdruck bezeichnete in der zweiten hälfte der 1880er Jahre den plötzlichen Anstieg der Brasilienauswanderung aus den polnischen Teilungs- gebieten. Einen enormen Beitrag zur förderung dieser Entwicklung leisteten auch die großen Schifffahrtsgesellschaften und ihre Agenten durch gezielte Anwerbestrategien. Als die Geschichte des herrn Balcers 1910 publiziert wurde, waren bereits mehrere hun- derttausend Menschen aus Osteuropa nach Südamerika ausgewandert. So wie herr Balcer waren sie auf der Suche nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen. für viele unter ihnen war die erste Begegnung mit dem Dampfschiff wahrscheinlich ähnlich bewegend wie sie Kono- pnicka schildert. Denn für die kommenden Wochen wurde das Schiff zum einzigen Zuhause und zum Scharnier zwischen altem und neuem Leben. Die Überfahrt war für die zahlreichen Auswandernden der letzte Teil der transatlantischen Wanderung vor der endgültigen Ankunft in den Zielländern. Die widrigen Umstände, die Abgeschlossenheit und Dauer der Reise prägten ihre Migrationserfahrungen auf besondere Weise. Dieser Beitrag will die Erfahrungen und Erlebnisse während der Überfahrt anhand der Erinnerungen polnischer Auswanderinnen und Auswanderer auf ihren Weg nach Südamerika untersuchen. Die Quellengrundlage hierfür bilden die vom Instytut Gospodarstwa Społecznego (IGS, Sozialwirtschafts-Institut) in Warschau im Jahr 1939 herausgegeben Pamiętniki Emig- rantów Ameryka Południowa („Erinnerungen von Migranten Südamerika“, IGS 1939). Das Material ist auf zwei Ebenen spannend: Erstens gibt es Einblicke in die Lebenswelten vor, während und nach der Auswanderung um 1900. Zweitens handelt es bei den Pamiętniki auch um das Ergebnis eines Sich-Zurückerinnerns an die Massenauswanderung viele Jahre oder gar Jahrzehnte nach der Ankunft. Das Motiv des Sich-Zurückerinnerns ist besonders interessant, da von der Auswanderung bis zum Verfassen der Erinnerungen einige Zeit verstrich. In dieser Zeit veränderten sich nicht nur die Migrantinnen und Migranten, sondern auch Polen, das zuvor als eigenständiger Staat
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Mobile Culture Studies The Journal, Volume 1/2015
Title
Mobile Culture Studies
Subtitle
The Journal
Volume
1/2015
Editor
Karl Franzens University Graz
Location
Graz
Date
2015
Language
German, English
License
CC BY 4.0
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
216
Categories
Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal
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