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112 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Elisabeth Janik | Reiseerfahrungen polnischer MigrantInnen
Dokumente oder Berichte von „einfachen“ Auswanderinnen und Auswanderern, die von ein-
zelnen Etappen und Stationen der Reise erzählen. für die Auswanderung aus Osteuropa in die
USA ist die Autobiographie von Mary Antin eine herausragende Quelle. Ihre Schilderungen
bieten nicht nur umfassende Einblicke in ihr Leben vor und nach der Auswanderung, sondern
sie spiegeln auch ihre Erfahrungen und Erlebnisse während der mehrwöchigen Reise wieder.1
für die Auswanderung nach Südamerika hingegen existieren nur einige wenige zeitgenössi-
sche Briefe und Darstellungen, welche die Erfahrungen „einfacher“ Auswanderinnen und Aus-
wanderer wiedergeben. In Reiseberichten von privilegierten polnischen Südamerikareisenden,
die sich zumeist auf denselben Schiffen wie die ärmeren Auswanderer befanden, tauchen verein-
zelt jedoch auch Schilderungen über die Reisebedingungen der Passagiere vom Zwischendeck
auf. Ein Beispiel hierfür sind die detailreichen Schilderungen von Dr. Stanisław Kłobukowski
(1909). Kłobukowski reiste 1895 im Auftrag des polnischen heiligen-Raphaelswerks nach
Brasilien. Seine Aufzeichnungen berichten episodenhaft von den einzelnen Stationen seiner
Reise von Lwów (Lemberg) nach Brasilien. Dabei ging er auch auf den Alltag an Bord ein. So
schildert Kłobukowski Auseinandersetzungen auf dem Schiff; er berichtet unter anderem von
sprachlichen Barrieren zwischen Migrantinnen und Migranten und der Schiffsbesatzung und
verweist auf seine Rolle als Streitschlichter (Kłobukowski 1909, 21ff.).
Nicht zu vernachlässigen sind die neuerschienen Listy Emigrantów z Brazylii i Stanów
Zjednoczonych 1890-1891 („Briefe von Emigranten aus Brasilien und den USA 1890-1891“; Kula
et al. 2012). Diese Briefe wurden von Auswanderinnen und Auswanderern teils während der
Reise und kurz nach der Ankunft im Zielland geschrieben und galten den zurückgebliebe-
nen Angehörigen, freunden und Bekannten. für viele von ihnen spielte die Überfahrt kaum
eine Rolle und wurde in einigen Briefen nicht einmal erwähnt. Die Quellenlage zum Thema
der Überfahrt nach Südamerika ist recht dürftig. Vor diesem hintergrund erscheinen die
vom Instytut Gospodarstwa Społecznego (IGS) herausgegebenen Pamiętniki als bedeutsame
Quelle. Bereits in den 1930er Jahren brachte das IGS Milieustudien heraus, die sich einer spezi-
fischen sozialen Gruppe, wie zum Beispiel Bauern und Arbeitern, widmeten. (IGS 1931)
Erinnerungen als Sozialstudien
Das Institut wurde 1920 von dem Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker Włodzimierz
Wakar in Warschau gegründet und hatte die Aufgabe, sich wissenschaftlich mit den histori-
schen und gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemen Polens auseinanderzusetzten. (Szturm
de Sztrem 1959) Neben der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung Polens nach dem
Ersten Weltkrieg sollten auch Arbeits- und Lebensbedingungen in den Städten und auf dem
Land sowie Lohngefälle analysiert werden.2 Zudem besaß das Institut ein großes Interesse an
jenen Polen, die in der Diaspora lebten. Die Wissenschaftler wollten nicht nur erfahren, wo und
wie ihre Landsleute außerhalb Polens lebten, sondern auch, warum sie ausgewandert waren.
1 Mary Antin wanderte mit ihrer familie aus Polczok, heute in Weißrussland gelegen, in die USA aus. Ihre Erleb-
nisse schrieb die spätere Schriftstellerin in ihrer Autobiographie nieder. In ihren Schilderungen ging sie im
Besonderen auf die einzelnen Stationen der Reise ein.
2 Szturm de Sztrem 1959; das Institut ist heute weiterhin aktiv und gibt auf seiner homepage geben Einblicke
in ihre Tätigkeiten siehe daher auch: http://kolegia.sgh.waw.pl/pl/KES/struktura/IGS-KES/instytut/Strony/
default.aspx (zuletzt gesehen am 02.02.2015 um 21:50)
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal