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126 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Anja Fuchs und Robin Klengel | âThere are no cats in Americaâ
Einleitung
Die Eisenbahn bringt einen namenlosen Migranten in eine hafenstadt. Er besteigt ein
Schiff, einen groĂen Ozeandampfer, der sich bald in Richtung eines unbekannten, fernen
Landes aufmacht.
Wir sehen ihn wie er, das Bild seiner familie betrachtend, in seiner KajĂŒte sitzt und Brei isst.
SpÀter, an Deck, schweift sein Blick nach oben, zum himmel. Er schaut den Wolken zu: Quell-
wolken, haufenwolken, Schichtwolken, Wolken in form von federn, BĂŒscheln, Strudeln.
Im Laufe der Schiffsreise kann er ganz unterschiedliche formationen beobachten. Woran
denkt er, als er sie betrachtet? Schweifen seine Gedanken in die Zukunft, in das Land seiner
Ankunft? Denkt er an seine familie, die er zuhause zurĂŒcklassen musste? Was liest er in den
Wolken? Ăngste, Hoffnungen, TrĂ€ume?
Das Schiff als Bild ist konnotativ eng mit der Vorstellung von Migration verknĂŒpft. Tief ins
visuelle Bewusstsein haben sich Symbole wie der Koffer, die Statue of Liberty, oder eben auch
der Ozeandampfer eingeschrieben; ohne sie ist ein klassisches Bild von Migration kaum zu
zeichnen. Dieses Eingangsbeispiel, nacherzĂ€hlt aus Shaun Tans Graphic Novell, âEin anderes
Landâ, macht den speziellen Raum des Schiffes in Migrationsbiographien deutlich. Das Schiff
verkehrt zwischen den Welten, es gehört weder zum Land der Auswanderung, noch zu dem
der Einwanderung. Als Raum im Dazwischen ist die Passage der Ăberfahrt ein besonderer
Ort, ein Ort auĂerhalb der Orte, der eine Sonderstellung im Migrationsprozess einnimmt. In
vielen auch wissenschaftlichen Schilderungen von Migrationsbiografien in denen der Prozess
der Ausreise immer noch linear, als âvon A nach Bâ begriffen wird, findet diese Passage jedoch
kaum ErwĂ€hnung, wenngleich sie im subjektiven Erleben oftmals von groĂer, symbolischer wie
praktischer Bedeutung ist (Schlör 2014:227).
Auswandern muss als komplexe, kulturelle Praxis prozesshaft verstanden werden, die viel
mehr ist als das bloĂe Durchqueren von Zeit und Raum von einem Ort zu einem anderen. Sie
beginnt schon weit vor der Abfahrt und ist bei der Ankunft noch lange nicht abgeschlossen
(ebd.). Die Erfahrung der Passage selbst ist geprÀgt von den individuell variierenden UmstÀn-
den der Ausreise welche unterschiedliche kulturelle Settings bedingen. Somit bringt das Schiff
als Medium der Migration, neben seinem semantischen Gehalt, auch zahlreiche praktische
Gegebenheiten mit sich, die die Erfahrung der Migration prÀgen.
Was passiert auf dieser kulturellen SphĂ€re? Wie flieĂt die Migrationserfahrung dieser Ăber-
fahrt in visuelle ReprÀsentationen des Themas der Migration ein?
Zur Beantwortung dieser fragen setzt der Text setzt bei der Interpretation zweier medialer
ReprĂ€sentationen von maritimer Migrationserfahrung an. Sie bilden die Basis fĂŒr eine raum-
theoretische AnnÀherung an das Schiff in diesem speziellen Setting. Wie wir argumentieren
werden hat der Raum des Schiffes eine im Turnerâschen Sinne liminale QualitĂ€t. Auch Michel
foucaults Konzept der âAnderen RĂ€umeâ ist in Anwendung auf diesen Raum fruchtbar, stellt
das Schiff doch einen klassischen Ort auĂerhalb der Orte, also eine heterotopie, dar.
An unserem ersten Beispiel, der wortlosen Graphic Novell âEin anderes Landâ des austra-
lischen Zeichners Shaun Tan, interessiert uns in diesem Sinn die frage, in welcher form sich
die fĂŒr das Buch recherchierten tatsĂ€chlichen Migrationserfahrungen in der Schilderung des
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal