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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Anja Fuchs und Robin Klengel | “There are no cats in America” 127
Raumes Schiff wiederfinden lassen bzw. sich in diesem verdichten. hier betrachten wir vor
allem den Abschnitt der SchiffsĂĽberfahrt und seine funktion in der Geschichte, sowie zentrale
Bedeutsamkeiten, die sich an diesem Beispiel besonders klar nachzeichnen lassen. In Tans gra-
fischer Erzählung geht es nicht um die Nacherzählung einer spezifischen Migrationserfahrung,
sondern vielmehr um den Versuch, Migration als universelle Erfahrung nachvollziehbar zu
machen. Gerade deshalb werden die Bilder der Migration per Schiff an diesem Beispiel aber
besonders aussagekräftig wiedergegeben und wir können jene Bilder in einem allgemeineren
Diskurs verorten.
Mit dem Zeichentrickfilms „An American Tail“ (zu Deutsch „feivel, der Mauswanderer“)
wählen wir eine populärkulturelle Repräsentation einer jüdischen Migrationsgeschichte als
zweites Beispiel. Auch hier interessiert uns vor allem die SchiffsĂĽberfahrt als Passage, die Schil-
derung des Raumes Schiff und welche migrationsspezifischen Motive in diesem Teil des films
verhandelt werden. Die mit der Schiffsreise verbundenen dramaturgischen BrĂĽche werden uns
in weiterer folge ebenfalls beschäftigen. Besonders spannend zu betrachten sind jene subjekti-
ven Identifikationsprozesse, die sich in jenem Zwischenraum zwischen flucht und Neuanfang
abspielen, in dem plötzlich ausgiebig Raum bleibt für Reflexion des Geschehens und Ausblick
in die Zukunft.
Beispiel einer Überfahrt: Die Schiffsreise in Shaun Tans „Ein neues Land“
„Ein neues Land“ – in Englisch „The Arrival“ (zu Deutsch so viel wie „Die Ankunft“ bzw. „Der
Ankömmling“), auf französisch „Là où vont nos pères“ (zu Deutsch „Dorthin, wo unsere Väter
gehen“) – ist eine vielfach ausgezeichnete Graphic Novell des australischen Zeichners Shaun
Tan aus dem Jahre 2006.
In seinem Buch, in dem er auf Worte gänzlich verzichtet, geht es um den Migrationsprozess
eines weißen Mannes, der seine familie verlässt und in ein ihm, sowie auch den Leser-innen,
gänzlich fremdes Land einreist. In eindrucksvollen Bleistiftzeichnungen schildert der Autor
zuerst den schmerzvollen Abschied und die Situation am heimatort, in der sich die fami-
lie mit einer abstrakten Bedrohung („some kind of oppressive threat“ [Tan o.J.]) konfrontiert
sieht, dargestellt durch schwarze Ranken ĂĽber der Stadt. Die heimatgemeinde ist dabei in
ein antiquiertes Licht getaucht, das an das Europa um die Jahrhundertwende erinnert. Die
Abschiedsszene findet bereits auf dem Bahnhof statt, wo der Protagonist einen Zug in unbe-
kannter Richtung besteigt. Von diesem Moment an befindet er sich auf unbekanntem Terrain,
im Ăśbergangsraum der Reise.
Mit der Eisenbahn kommt der Protagonist auf ein Schiff, das ihn ĂĽber einen namenlosen
Ozean transportieren soll – eine Passage, die wir infolge weiter unten im Detail beschreiben.
Nach Ankunft in dem fremden, phantastischen Land voller ungewohnter kultureller Praktiken
versucht sich der Protagonist in der Stadt zurechtzufinden und wirkt dabei recht verloren. Alles
ist eigenartig fremd, die Bedeutung der unbekannten Schriftzeichen lässt sich nicht erschlie-
Ăźen und selbst die einfachsten Dinge funktionieren hier irgendwie anders. Dabei bleibt das
RĂĽckbesinnen an den zurĂĽckgelassenen kulturellen Kontext, an familie und heimat, stets
Teil der migrantischen Lebensrealität. Der Protagonist befindet sich in einem Dazwischen,
in dem er weder im herkunftskontext verortet bleiben kann, noch ein wirkliches Mitglied
der neuen Gesellschaft werden kann, deren kulturelle codes er nicht zu lesen versteht. Erst
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal