Page - 142 - in Mobile Culture Studies - The Journal, Volume 1/2015
Image of the Page - 142 -
Text of the Page - 142 -
142 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Anja Fuchs und Robin Klengel | “There are no cats in America”
den langen, untätigen Stunden an Bord bildet sich ein „anderer Raum“, der die Imagination
inspirieren kann.
Resümee
In „Ein anderes Land“ zeigt der Zeichner Shaun Tan Migration als universelle Erfahrung
nachvollziehbar zu machen. Gestützt auf intensive Recherche finden sich hier fragmente aus
unterschiedlichen Migrationserzählungen, was die Geschichte zu einem vielstimmigen Migra-
tionsportrait machen soll. Die Schiffsüberfahrt stellt in diesem fall einen signifikanten Bruch
dar, der den Protagonisten von seiner zuhause gebliebenen familie trennt. Ohne Worte bleibt
er – obwohl umringt von Schicksalsgenoss-innen – für sich allein und findet erst gegen Ende
des Buches Orientierung und Anschluss, wenngleich er sich weit weniger leicht assimiliert, als
der Protagonist von „An Americal Tail“, fievel.
In „An American Tail“ ist das Schiff in der Geschichte einer aufgrund von Repressionen
auswandernden, russisch-jüdischen Mäusefamilie ein wichtiger Wendepunkt. Nebenbei wird
aber auch über den Alltag an Bord berichtet und wir erkennen einige zentrale Motive und Bil-
der des Migrationsnarrativs. Genauso wie die Menschen an Bord, durchlaufen auch die Mäuse
Prozesse der Ablösung, sie fürchten sich und konstruieren an Bord das Land der Ankunft.
Besonders hervorzukehren ist an diesem Beispiel die Rolle der communitas, die aus den Mäu-
semigrant-innen für die Dauer der Überfahrt ein homogenes Kollektiv macht. Dabei ist die
schrittweise Identifikation mit dem Land der Ankunft, der USA, im Zentrum des films, an
dessen Ende die Mitglieder der zersplitterten, jüdischen familie durch die Wiedervereinigung
zu Amerikaner-innen werden.
Oftmals bildet die Schiffsüberfahrt dabei einen Raum im Dazwischen, der anderen sozi-
alen Regeln folgt, in der etwa communitas hergestellt werden kann. Laut Michel foucault ist
das Schiff ein heterotoper Raum, und damit in enger Verknüpfung zur Welt der Phantasie. In
Migrationsbiographien kann das Schiff, wie Joachim Schlör schreibt, „Übergangssituation von
einem Leben in das andere“ (2007:179) sein.
Das Schiff kann dabei nur zum Teil als gesonderter Raum verstanden werden, denn die
Identifikations-, Imaginations- und Reflexionsprozesse beginnen weit vor der Abfahrt und sind
bei Ankunft noch lange nicht abgeschlossen. Wir können also sagen, Migrant-innen bleiben
oftmals jene von Victor Turner beschriebene Schwellenwesen, auch wenn das eigentlich limi-
nale Stadium ihrer Überfahrt bereits hinter ihnen liegt.
Jedenfalls ist das Schiff eine spannende Sphäre, in der vieles möglich ist, in der viel gedacht,
konstruiert und reflektiert wird. In den vorbeiziehenden Wolken erkennt man das alte und
das neue Leben. Als Zeit des Wartens in Bewegung konfrontiert es die Passagier-innen mit
den fragen der Zukunft, der Vergangenheit, der Identität. Auf dem Schiff verdichtet sich der
Migrationsprozess.
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal