Page - 150 - in Mobile Culture Studies - The Journal, Volume 1/2015

150 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15 David Jünger | Die Schiffspassage deutscher Juden nach Palästina ren Datums nehmen auch die Schiffspassage als solche in den Blick, untersuchen sie mit einem sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Zugriff und erweitern damit das Verständnis von Über- gangs- uns Transformationsprozessen insbesondere in den dreißiger Jahren.8 Joachim Schlör war es schließlich, der zuletzt die Etablierung der „Jewish Maritime Studies“ forderte.9 Von der Utopie zur Wirklichkeit Um die Palästinareisen der dreißiger Jahre zu verstehen, sollte zunächst der Blick auf die funk- tion des deutschen Zionismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelenkt werden. Dieser war von Beginn an überwiegend Kulturzionismus bzw. Nationaljudentum und richtete sich mit seinem Modell der „Gegenwartsarbeit“ auf das jüdische Leben in der Diaspora.10 Der Aufbau Palästinas zu einer jüdischen heimstätte wurde zwar auch von deutschen Zionisten unterstützt und gefördert, an Übersiedlung dachten jedoch die wenigsten. Auf dem Posener Delegier- tentag von 1912 wurde eine Resolution verabschiedet, in der die Übersiedlung nach Palästina zur Lebensaufgabe eines jeden deutschen Zionisten erklärt wurde.11 Dieser Proklamation zum Trotz wanderten auch weiterhin nahezu keine deutschen Juden nach Palästina aus. Bis zum Jahr 1933 waren lediglich 2.000 deutsche Juden nach Palästina emigriert, von denen viele – genaue Zahlen sind nicht bekannt – das Land nach geraumer Zeit wieder verließen.12 Palästina hatte für den deutschen Zionismus in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts eine doppelte Bedeutung. Zum einen wurde es als realer Zufluchtsort und Schutzasyl für die notleidenden Judenheiten Ost- und Südosteuropas verstanden. Zum anderen war es aber auch der Boden, auf dem dereinst das heilige Land Erez Israel entstehen sollte. Erez Israel hatte zu dieser Zeit aber vorwiegend eine symbolische Bedeutung. Es war ein Begriff, eine Utopie, eine Vision – mehr Vorschein auf das Zukünftige als Abbild des Bestehenden. Die Anrufung des heiligen Institute Yearbook 37, 261–286. 8 Schlör, Joachim. 2003. Endlich im Gelobten Land? Deutsche Juden unterwegs in eine neue Heimat (Berlin: Aufbau-Verlag); Schlör, Joachim. 2005. ‚Auf dem Schiff‘, in Moshe Zimmermann und Yotam hotam, hgg., Zweimal Heimat. Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost (frankfurt a. M.: Beerenverlag), 121–125; Siegel, Björn. 2014. ‚Die Jungfernfahrt der „Tel Aviv“ nach Palästina im Jahre 1935. Eine „Besinnliche fahrt ins Land der Juden“?‘, in Miriam Gillis-carlebach und Barbara Vogel (eds.), “Ihre Wege sind liebliche Wege und all ihre Pfade Frieden“ (Sprüche 3, 17). Die Neunte Joseph Carlebach-Konferenz. Wege Joseph Carlebachs. Uni- versale Bildung, gelebtes Judentum, Opfergang (München/hamburg: Dölling und Galitz), 106–125; Sonder, Ines. 2013. ‚Reise ins heilige Land. Die Palästinafahrt von franz Werfel und Alma Mahler im Jahre 1925‘, DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift 25(96), 56–58. 9 Schlör, Joachim. 2012. ‘Towards Jewish Maritime Studies’, Jewish Culture and History 13(1), 1–6. 10 Zur Geschichte des deutschen Zionismus: Eloni, Yehuda. 1987. Zionismus in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914 (Gerlingen: Bleicher); Lavsky, hagit. 1996. Before Catastrophe. The Distinctive Path of German Zionism (Jerusalem: Magnes Press); Poppel, Stephen. 1976. Zionism in Germany, 1897–1933. The Shaping of a Jewish Identity (Philadelphia: Jewish Publication Society of America). 11 ‘Beschluss des 13. Delegiertentages der ZVfD [Zionistischen Vereinigung für Deutschland] vom 28. Mai 1912’, in Jehuda Reinharz, hg., Dokumente zur Geschichte des deutschen Zionismus, 1882–1933 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1981), 106. 12 Stone, Lilo. 1997. ‘German Zionists in Palestine before 1933’, Journal of Contemporary History 32(2), 171–186; Sonder, Ines. 2014. ‘„Das wollten wir. Ein neues Land …“. Deutsche Zionistinnen als Pionierinnen in Palästina, 1897–1933‘,Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 8(14), 1–14, online unter: http:// www.medaon.de/pdf/MEDAON_14_Sonder.pdf [10. März 2015].