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94 Mobile Culture Studies. The Journal 2 2o16
Arthur Depner, Simon Goebel | Rede Macht Asylpolitik
Rhetorik und Politik sind eng miteinander verknüpft. Diese geradezu banale Feststellung wird
besonders dann ins Bewusstsein gerufen, wenn Zusammenhänge zwischen Diskurs und Pra-
xis, zwischen Sprechen und Handeln offenbar werden; wenn deutlich wird, dass Diskurs eine
Form der Praxis ist, genauso wie Sprechen Handeln ist, oder, wenn das eine direkt oder indi-
rekt aus dem andern folgt. In den Jahren 2015 und 2016 wurde der Zusammenhang zwischen
Rhetorik und Politik im Kontext der Zuwanderung Geflüchteter virulent. Angesichts der im
Nachkriegseuropa vergleichsweise hohen Zahlen ankommender, geflüchteter Menschen in der
Europäischen Union und in Deutschland und der stark gestiegenen Anzahl fremdenfeindlicher
Straftaten in der Bundesrepublik im Jahr 2015, geriet die sprachliche Ausgestaltung von politi-
schen Stellungnahmen zum Themenkomplex Einwanderung in den Fokus kritischer medialer
Betrachtung. Große Aufmerksamkeit erregten in diesem Zusammenhang die Äußerungen des
Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) vom 26.12.2015, in denen er die Art des rheto-
rischen Umgangs mit dem Thema Flucht, wie er von einigen Parteien gepflegt werde, für die
steigende Zahl ausländerfeindlicher Straftaten mitverantwortlich machte (vgl. Spiegelonline
2015b). Bereits im Juli 2015 benutzten Mitglieder der Oppositionsparteien im Bundestag in
diesem Kontext den Begriff „geistige Brandstiftung“, um insbesondere die Haltung der bayeri-
schen Regierungspartei CSU in der Frage des Umgangs mit Asylsuchenden aus Ländern mit
hohen Ablehnungsquoten zu kritisieren (vgl. Spiegelonline 2015a).
Eine zentrale Rolle in diesem Kontext spielten nicht zuletzt auch die unterschiedlichen
populistischen Akteure wie Pegida und deren Ableger, die AfD, aber auch entsprechende Bewe-
gungen und Parteien außerhalb der Bundesrepublik.1 In einer neuen Dimension ihrer Hör- und
Sichtbarkeit stellten diese Akteure eine Irritation dar, die in ihrem Kern und in ihren Wurzeln
noch nicht ganz verstanden zu sein schien. Äußerten diese Gruppen nun echte, legitime Sor-
gen, Ängste und Nöte einer sich in die Enge getrieben bzw. ins Abseits gedrückt fühlenden
Bürgerschaft? Oder handelte es sich in der Mehrzahl schlichtweg um ahnungslose Mitläufer_
innen, geleitet und angestachelt durch die immergleichen Parolen von Ausländerfeinden und
geschmeichelt von dem Gefühl, der Demokratie durch die Agitation auf der Straße zu ihrem
Recht zu verhelfen?
In dieser Situation waren und sind Politiker_innen dazu gezwungen, Stellung zu beziehen.
Und je länger die Lage angespannt blieb, desto klarer und deutlicher sollte die Positionierung
sein. So forderte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) Anfang September
2015 eine klare Positionierung der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der „Flüchtlingskrise“
(FAZ 2015). Gleichzeitig sagte er: „Wir können nicht als Bundesrepublik auf Dauer bei 28 Mit-
gliedsstaaten beinahe sämtliche Flüchtlinge aufnehmen.“ (ebda.)
Mit einer solchen „Positionierung“ erwartete er also im Grunde ein Umschwenken der
Kanzlerin auf seinen eigenen restriktiven und flüchtlingsfeindlichen Kurs. Diese Episode der
Auseinandersetzung kann als Beispiel für eine sich immer weiter verfestigende Struktur der
gegenseitigen Abgrenzung und der Unbeweglichkeit in diesem Diskurs gesehen werden.
Stellungnahmen, Meinungsäußerungen, Schlagzeilen und Interviewbeiträge – sie alle
begannen sich in einer Weise aufeinander zu beziehen, die deutlich machte, dass das vorder-
gründige Thema der Auseinandersetzung: die Frage des konkreten Umgangs mit geflüchteten
1 Obwohl ähnliche Diskurse in sämtlichen europäischen Staaten zu beobachten sind, konzentrieren wir uns im
Rahmen dieses Beitrags auf den bundesdeutschen Diskurs.
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 2/2016
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 2/2016
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 168
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal