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96 Mobile Culture Studies. The Journal 2 2o16
Arthur Depner, Simon Goebel | Rede Macht Asylpolitik
Mit Roger Willemsen möchten wir zunächst deutlich machen, dass wir das Parlament als Ort
der politischen Aushandlung als essentielle Institution fĂĽr eine demokratische Gesellschaft ver-
stehen. Umso mehr ist es uns ein Anliegen, die parlamentarische Rhetorik zu analysieren und
wenn nötig zu kritisieren.
Die „Wirksamkeit der Rede“ bringt Andreas Hetzel in der Einleitung zu seiner gleichna-
migen Studie zur „Aktualität klassischer Rhetorik für die moderne Sprachphilosophie“, so der
Untertitel seines 2010 erschienen Werks, auf die knappe Formel: „Rede wirkt, indem sie sich
vollzieht und sie vollzieht sich als Wirkung.“ (Hetzel 2010, 10, Herv. i. O.) Hetzel sieht in der
klassischen Rhetorik den Versuch, „theoretische Antworten auf die Frage [zu finden], wie mit
Sprache Wirkungen entfaltet, Überzeugungen vermittelt, Situationen verändert, Stimmungen
gewendet und soziale Institutionen geschaffen werden“ (Hetzel 2010, 11). Genau dieser Aspekt
der Rede sei gegenĂĽber dem sprachphilosophischen Paradigma, das in erster Linie Fragen der
Bedeutung und Emergenz sprachlicher und damit zumeist auch geistiger Phänomene und deren
Konvergenz mit der beobachtbaren Welt fokussiert, in den Hintergrund geraten. Im Gegen-
satz zu diesem ließe sich die Wirksamkeit der Rede nicht „reduktionistisch erklären, nicht auf
ihr vorgängigen mentalen Instanzen, sozialen Institutionen oder gar physikalische Tatsachen
zurückführen, die dann als Ursachen ihrer Wirksamkeit fungieren würden.“ (Hetzel 2010, 10)
Vielmehr bleibe stets ein entscheidender Rest an Kontingenz im Wirkungszusammenhang der
Rede übrig, oder in seinen eigenen Worten ausgedrückt: „In einer gewissen Hinsicht ist Rede
nichts Anderes als die sich verkörpernde Abwesenheit des Grundes im Subjekt, im Sozialen und
in der Welt.“ (Hetzel 2010, 10) Auf diese Abwesenheit von Gründen, diese bedrohlich schei-
nende, sich einer kausalen Erklärung entziehende Dimension wird noch zurückzukommen
sein.
In der medialen Diskussion um den Zusammenhang politischer Rede und gesellschaftli-
cher „Stimmungen“ und Handlungen sorgte insbesondere die Erscheinung des populärwissen-
schaftlichen Buches „Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und dar-
aus Politik macht“ von Elisabeth Wehling für Aufsehen. In zahlreichen TV-Beiträgen führte
sie die zentralen Ideen ihres Werkes aus.2 Die grundlegende – und mediale Aufmerksamkeit
erregende – These ihres Werks fasst sie selbst in der „Anfangsbetrachtung“ des Buches folgen-
dermaĂźen zusammen:
„Menschen sind rationale Wesen. Sie können vernunftgesteuert handeln. Legt man nur alle
relevanten Fakten auf den Tisch, können sie diese objektiv gegeneinander abwägen und ent-
scheiden, was zu tun ist – ob beispielsweise ein politisches Vorhaben unterstützt werden soll
oder nicht. So denken viele Menschen, so haben wir es gelernt – und so geistert es noch
heute ĂĽber die Flure der Parteizentralen und Medienredaktionen. Doch mit dieser Vorstellung
hinken wir den Erkenntnissen der Neuro- und Kognitionsforschung hinterher und verfehlen
die Chance, einen wirklich transparenten demokratischen Diskurs zu fĂĽhren. Wieso? Weil in
politischen Debatten nicht Fakten an und fĂĽr sich entscheidend sind, sondern gedankliche
Deutungsrahmen, in der kognitiven Wissenschaft Frames genannt.“ (Wehling 2016, 18)
2 Auf Elisabeth Wehlings Homepage sind im Media-Bereich sieben Videos von TV-Auftritten zu finden, von
denen sechs aus dem Zeitraum August 2015 bis Mai 2016 stammen, und in denen das Thema des rhetorischen
Umgangs mit Menschen mit Fluchthintergrund einen zentralen Platz einnimmt. Vgl. http://www.elisabeth-
wehling.com/media/, Zugriff: 15.6.2016
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 2/2016
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 2/2016
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 168
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal