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Mobile Culture Studies. The Journal 2 2o16
Arthur Depner, Simon Goebel | Rede Macht Asylpolitik 101
grundsätzlich defizitär auffasst. Ihr geht es bei der Bekämpfung der Fluchtursachen um die
Verteidigung vermeintlich deutscher Interessen.
Daran schließt sich die Frage an, wie Fluchtursachen bekämpft werden sollen. Hierzu sagt
Sigmar Gabriel (SPD) einen Tag später im Deutschen Bundestag:
„Flüchtlingspolitik ist nicht zu trennen von dem, was wir in der Diplomatie mit all den
Möglichkeiten tun, die Frank-Walter Steinmeier mit seinen Kolleginnen und Kollegen
dafür nutzt, um die Fluchtursachen besser zu bekämpfen. Ich finde, dann kann das Land
stolz sein auf das, was es bereit ist zu leisten.“ (Gabriel, Bundestagsrede am 26.11.2015)
Sehr allgemein gehalten nennt Gabriel die Diplomatie als Mittel, um Fluchtursachen zu
bekämpfen. Gleichzeitig fehlt ein Hinweis darauf, um welche konkreten Fluchtursachen es in
diesem Fall geht und wie der diplomatische Kampf ausgestaltet sein könnte.
Vertreter_innen der Oppositionspartei Die Linke werfen der Bundesregierung hinge-
gen vor, Fluchtursachen nicht zu bekämpfen. Dietmar Bartsch (Die Linke) wendet sich am
16.12.2015 direkt an Merkel:
„Wenn ich die Formulierung ‚Fluchtursachen bekämpfen‘ höre, dann kann ich nur sagen:
Das ist inzwischen leider zu einer Phrase geworden. Wie geht denn die Bekämpfung der
Fluchtursachen zusammen mit der Tatsache, dass wir weiterhin Waffen nach Saudi-Ara-
bien und nach Katar exportieren?“ (Bartsch, Bundestagsrede am 16.12.2015)
Bartsch verknüpft – wie auch seine Parteikolleginnen Sahra Wagenknecht und Katja Kipping
(vgl. Sahra Wagenknecht, Bundestagsrede am 15.10.2015; Katja Kipping, Bundestagsrede am
17.12.2015) – die Metapher „Fluchtursachen bekämpfen“ mit einer konkreten ökonomischen
Praxis, dem Waffenexport, und impliziert damit, dass Waffenexporte Teil der Fluchtursachen
sind. Damit füllt er die Metapher mit einem Kontrapunkt. Dies zeigt, dass Metaphern nicht
nur synonyme, sondern auch antonyme Vorstellungen beinhalten können.
Dass jedoch auch die Oppositionspolitiker_innen nicht detaillierter auf das Thema Flucht-
ursachen eingehen, führt zu einem großen Spielraum an Verständnis- und Interpretationsmög-
lichkeiten. Es handelt sich um eine offene Metapher, deren Funktion womöglich gerade darin
besteht, im Unkonkreten die größtmögliche Zustimmung zu finden. Mit Roger Willemsen
hieße das: „Wer an der Macht nicht auffällt und sich mit dem Volk auf Gemeinplätzen verab-
redet, kann immer weiter herrschen.“ (Willemsen 2014, 5)
Europäische Wertegemeinschaft
In ihrer Regierungserklärung am 24.09.2015 sagte Angela Merkel (CDU):
„Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft und als solche eine Rechts- und Ver-
antwortungsgemeinschaft. Sie muss in der Praxis zeigen, dass dieser Anspruch auch trägt.
Dazu gehört, dass die Mindeststandards eingehalten werden müssen, die wir in Europa
für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und für die Durchführung von
Asylverfahren festgelegt haben. Wir erleben gegenwärtig eine Situation, in der diese Mind-
eststandards nicht überall gegeben sind. Zur Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 2/2016
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 2/2016
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 168
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal