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102 Mobile Culture Studies. The Journal 2 2o16
Arthur Depner, Simon Goebel | Rede Macht Asylpolitik
gehört auch, die Lage an den EU-Außengrenzen besser zu kontrollieren und zu organis-
ieren. Ebenso gehört dazu eine effektive Rückführung derjenigen, die keinen Anspruch auf
Schutz in der Europäischen Union haben. Und dazu gehört die Einbindung und Unter-
stĂĽtzung wichtiger Herkunfts- und Transitstaaten bei der Unterbringung und Versorgung
von Flüchtlingen, bei der Eindämmung der Schleuserkriminalität sowie – das wird uns
noch sehr fordern – bei der Bekämpfung der Fluchtursachen.“ (Angela Merkel, Bunde-
stagsrede, 24.09.2015)
Merkel versteht die EU als eine Gemeinschaft, die auf einheitlichen Wertmaßstäben und recht-
lichen Kriterien beruht und die eine gemeinsame Verantwortung trägt. Unklar bleibt, ob sich
die Verantwortung lediglich auf die EU selbst oder auch auf ein AuĂźerhalb der EU richtet. Ihre
Konkretisierungen dessen, was sie unter „Wertegemeinschaft“ versteht, bleiben höchst allge-
mein formuliert. Sie erwähnt „Mindeststandards“ im Kontext der Behandlung Geflüchteter,
womit sie vermutlich auf das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) anspielt, äußert
sich jedoch so allgemein, dass jene, die die Inhalte des GEAS nicht kennen, im Unklaren
über die Beschaffenheit der „Mindeststandards“ bleiben. Unklar bleibt auch, inwiefern eine
bessere Kontrolle und Organisation des EU-Grenzregimes im Zusammenhang mit europä-
ischen Wertmaßstäben steht, ist dieses EU-Grenzregime doch gerade die Ursache für den Tod
zehntausender Menschen, die den Versuch, Europa per Boot zu erreichen, nicht ĂĽberlebten (Pro
Asyl o. D.).
In diesem Zusammenhang wird Katrin Göring-Eckardt von den Grünen konkreter. Nach-
dem es die EU abgelehnt hat, das Seenotrettungsprogramm Mare Nostrum zu finanzieren, sagt
sie im Bundestag:
„Meine Damen und Herren, wenn es in der Europäischen Union um Wirtschaft und
Finanzen geht, spannen wir riesige Rettungsschirme auf. Wenn es um die FlĂĽchtlinge geht,
dann scheitert es an 9 Millionen Euro. Wir sind eine Gemeinschaft der Menschlichkeit, des
Friedens, der Solidarität. Wenn wir all das nicht preisgeben wollen, dann müssen wir jetzt
gemeinsam als Europa Verantwortung ĂĽbernehmen; sonst verraten wir uns selbst; sonst
verraten wir unsere Werte, das, weswegen wir ein einzigartiger Kontinent sind. Es ist auch
morgen die Aufgabe beim Gipfel, das deutlich zu machen. Wenn der Westen, wenn Europa
diese Wertegemeinschaft ist, dann sind die Toten im Mittelmeer die größte Verletzung des
europäischen Wertekanons seit der Gründung. So können wir unsere Seele verlieren. Das
müssen wir verhindern.“ (Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsrede, 22.04.2015)
Göring-Eckardt konkretisiert, was unter den gemeinsamen europäischen Werten zu verstehen
sei, wobei sie diese wahlweise auch als westliche Werte begreift. Deutlich wird eine starke Iden-
tifizierung Göring-Eckardts mit der EU, indem sie „wir“ sagt und der EU explizit die Werte
„Menschlichkeit, Frieden und Solidarität“, die Europa zu einem „einzigartigen Kontinent“
machten, zuschreibt. Sie gibt dieser Wertegemeinschaft daraufhin die Schuld an den „Toten im
Mittelmeer“ und konstatiert eine „Verletzung des europäischen Wertekanons“.
Diesen Wertekanon hat die EU institutionalisiert und mit der Einrichtung der Agentur der
Europäischen Union für Grundrechte (FRA) die Überwachung der Einhaltung dieser Werte
veranlasst:
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 2/2016
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 2/2016
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 168
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal