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104 Mobile Culture Studies. The Journal 2 2o16
Arthur Depner, Simon Goebel | Rede Macht Asylpolitik
Damit wiederum würde aber unterschlagen, dass außereuropäische Gesellschaften in die
Genese und Verbreitung antiker Philosophie und moderner Werte maßgeblich involviert waren
(vgl. Wirtz 2005, 234).
Insofern liegt es nahe, dass die politische Rhetorik die „europäische Wertegemeinschaft“ zu
einer Metapher macht, deren Sinn weniger in der inhaltlichen Bestimmung konkreter Werte
liegt, als vielmehr in der Konstruktion einer europäischen Identität. Die politische Praxis in
Europa belegt gerade im Kontext der Einwanderung Geflüchteter zahlreiche Verstöße gegen
die formalisierten europäischen Werte. Dies erkennt offensichtlich auch die FRA, die nicht
nur in den Handlungen extremistischer Bewegungen Verstöße gegen die Grundrechte erkennt.
Vielmehr warnt sie, dass „auch die abgeschwächte Nachahmung solcher Bewegungen durch
etablierte Parteien […] den gemeinsam beschlossenen europäischen Werten zuwiderlaufen“
könnten (Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2013, 19).
Sicherung der Außengrenzen
In vielen der analysierten Bundestagsreden ist von einer Notwendigkeit der „Sicherung der
Außengrenzen“ die Rede. Auch diese Wortkombination muss als Metapher bezeichnet werden,
da ihre Verwendung auf bestehenden Konzepten zu beruhen scheint und gleichzeitig nahezu
unbegründet bleibt. Beispielsweise sagte Angela Merkel, dass „[w]ir […] nur gemeinsam mit
der Türkei unsere Außengrenzen sichern können“ (Merkel, Bundestagsrede am 24.09.2015),
bleibt eine erklärende Bemerkung aber schuldig. Stattdessen versucht sie zu beweisen, dass sich
politisch etwas bewegt: „Wir haben beim Europäischen Rat natürlich auch darüber gesprochen,
dass zu der Sicherung der Außengrenzen der Aufbau von sogenannten Hotspots gehört.“ (ebd.)
Die Metapher „Sicherung der Außengrenzen“ verweist auf Geflüchtete, ohne diese zu benen-
nen. Sie sind im Sinne der Metapher der Unsicherheitsfaktor, zu dessen Abwehr die Sicherung
betrieben werden muss. Als Gegenteil von Sicherheit kommen neben Unsicherheit Begriffe
wie Bedrohung, Gefahr, Kriminalität und Terror in Betracht; Begriffe also, die in flüchtlings-
feindlichen Diskursen mit Geflüchteten in Verbindung gebracht werden. Die Außengrenzen
werden in der Metapher zum neuralgischen Zentrum. Eine „Sicherung der Außengrenzen“
ist ein militärischer Einsatz der Grenzpolizei, die durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex
unterstützt wird. Frontex wird von den Redner_innen im Bundestag nicht erwähnt, was damit
zusammenhängen dürfte, dass das Image der Grenzschutzagentur zeit ihres Bestehens immer
schlechter wurde (vgl. Heck 2011). Stattdessen wird die Sicherung der Außengrenzen rhetorisch
in humanitäre Maßnahmen eingebettet, wie beispielsweise von Sigmar Gabriel:
„Nicht die Zahl der Menschen, die kommen, ist das Problem, sondern das Problem ist
die Geschwindigkeit, in der sie kommen. Ich finde, deswegen ist der Dreischritt richtig,
nämlich sich um die Hilfe in den Nachbarregionen Syriens zu kümmern, die Außengrenze
der Europäischen Union zu sichern und dann aber auch bereit zu sein, Kontingente an
Flüchtlingen, und zwar in hoher Zahl, ohne Schlepper und auf geordnetem Wege nach
Deutschland zu holen – nach meiner Vorstellung unter der Überschrift: Frauen und Kinder
zuerst und Vorrang für Familien.“ (Gabriel, Bundestagsrede am 26.11.2015)
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 2/2016
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 2/2016
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2016
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 168
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal