Page - 62 - in >mcs_lab> - Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
Image of the Page - 62 -
Text of the Page - 62 -
62 Mobile Culture Studies. The Journal 6 2o20 (Travel)
de Almeida, MĂŒller, Wimplinger | Die Linke schaut nach Portugal
Einleitung
Die berĂŒhmte Karikatur des portugiesischen Grafikers JoĂŁo Abel Manta mit dem Titel Um
problema dĂficil (Ein schwieriges Problem, 1975) zeigt eine Gruppe von Ikonen der politischen
Theorie in einem Klassenzimmer vor einer Schiefertafel sitzend; neben Lenin, Hegel, Proud-
hon, Marx, Marcuse, Stalin und Che Guevara sind auch Ho Chi-Minh, Trotsky, Mao Tse
Tung, Ghandi, Rosa Luxemburg, Sartre und Gramsci zu erkennen (vgl. Gomes & Castanheira
2006: 2). Jeder fĂŒr sich grĂŒbelnd, konzentrieren sie sich auf âPortugalâ, dessen Umrisse sie auf
der Tafel eingehend betrachten. Dass ein MilitÀrputsch, der den revolutionÀren Prozess in Por-
tugal 1974 anstieĂ, von sozialistischen Ideen inspiriert, ohne physische Gewalt und âmit einer
fast beunruhigenden Leichtigkeitâ (Hottinger 1976: 4) verlief, war aus revolutionstheoretischer
Perspektive nicht unbedingt zu erwarten.
BeilÀufig suggeriert die abgeschirmte Lernsituation im Klassenzimmer ein VerstÀndnis
von theoretischer Arbeit, das fĂŒr den Fall der portugiesischen Revolution nicht ganz passend
scheint: Theorie als eine Analyse, die ein geschichtlich bereits abgeschlossenes StĂŒck Wirk-
lichkeit behandelt. Das trifft nicht den Kern der Auseinandersetzungen im Spannungsfeld
zwischen politischer Theorie und politischer Praxis, da zahlreiche Denker*innen wÀhrend des
revolutionÀren Prozesses tatsÀchlich das Land bereisten, um die am politischen Geschehen
Beteiligten zu konsultieren, den revolutionÀren Prozess zu fördern und im eigenen Land dar-
ĂŒber zu berichten (vgl. Gomes & Castanheira 2006: 54). Das altgriechische Wort theoria leitet
sich bekanntlich unter anderem von âZuschauenâ ab. Grundiert wird diese Bedeutung jedoch
von einer noch Ă€lteren, an die eine kultische Praxis anknĂŒpfte: Als theoros wurde in der grie-
chischen Antike nĂ€mlich jener Mann bezeichnet, âder in öffentlichem Auftrag nach Delphi
usw. geschickt wurde, um das Orakel zu befragen und es unverfÀlscht nach Hause zu bringen,
Abb. 1: Um problema difĂcil, ©JoĂŁo Abel Manta 1975
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 2/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal