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Mobile Culture Studies The Journal
>mcs_lab> - Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
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Mobile Culture Studies. The Journal 6 2o20 (Travel) de Almeida, MĂŒller, Wimplinger | Die Linke schaut nach Portugal 65 Die westdeutsche SolidaritĂ€t fĂŒr Portugal folgte also interessanterweise direkt auf die Unter- stĂŒtzung der BefreiungskĂ€mpfe in den portugiesischen Kolonien und fand so Anschluss an eine große Zahl von meist studentischen Arbeitsgruppen mit einem Schwerpunkt auf das lusophone Afrika, die sowohl die westdeutsche UnterstĂŒtzung fĂŒr den Estado Novo5 als auch das Enga- gement deutscher Firmen im portugiesischen Kolonialkrieg kritisierten. Mit der Befreiung der Kolonien nahm das Interesse und Engagement dieser Gruppen jedoch rapide ab.6 Gleichzeitig fand wĂ€hrend der 1970er Jahre ein touristischer Paradigmenwechsel statt, der auch das im Umbruch befindliche Portugal als Reiseziel, vor allem fĂŒr linke Reisende, attraktiv werden ließ. Der Politikwissenschaftler VĂ­tor Pereira spricht von Tausenden, die Portugal in ihren Karten als einen Ort markierten, wo sich Politik mit Freizeit und dem Entdecken neuer linker Kulturen gut verband (vgl. Pereira 2010: 100). Außerdem schloss sich diesen Reisen eine neue Generation an, die fĂŒr ein politisches Auftreten 1968 noch zu jung war. Das Land wurde „mit theoretisch gebildeten Besuchergruppen ĂŒberzogen. Sie haben RatschlĂ€ge gebracht, wie man den autochthon vorhandenen Fraktionierungen weiter fraktionelle Unterscheidungen hin- zufĂŒgen könnte,“ wie auch Negt und Kluge polemisch anmerken (Negt/Kluge 2001: 738). Im großen Maßstab vollzog sich dieser Paradigmenwechsel in Frankreich, wo das PhĂ€nomen groß- flĂ€chig auftrat, im kleineren Rahmen lĂ€sst es sich aber auch im restlichen Westeuropa beobach- ten. Die westdeutsche Linke der 1970er Jahre war nach dem Schriftsteller Michael Rutschky durch einen Erfahrungshunger geprĂ€gt, durch „programmatisch verwirrende TĂ€tigkeiten und Tendenzen“, die sich in „zahllose unruhige Suchbewegungen“ ĂŒbersetzten (Rutschky 1982: 57). WĂ€hrend sich die Protestbewegung der spĂ€ten 1960er nach der Klarheit sehnte, die durch Theo- rie zu erreichen gewesen war, ging es in den 1970er Jahren darum, „endlich eine Erfahrung zu machen“ (Rutschky 1982: 95). Das Reiseparadigma des Revolutionstourismus7, in dem sich lin- kes Engagement, Erfahrungssuche und die Neigung zur Gruppenorganisation mit Freizeit ver- binden ließen, fiel mit einer ökonomischen Besserstellung der WesteuropĂ€er*innen gegenĂŒber den Portugies*innen zusammen, wodurch die Reise auch zu einem „fabelhaften Luxus“ werden konnte, wie ihn etwa Alfred Andersch wĂ€hrend seiner Revolutionsreise nach Lissabon 1975 im leeren „Penina-Golfhotel“ neben ein paar „Karten spiel[enden] und sich einsam fĂŒhl[enden]“ Amerikanern genoss (Andersch 2004: 390). WĂ€hrend es durchaus kostspielig sein konnte, sich in Kuba, China oder der Sowjetunion eine Pause von der kapitalistischen Gesellschaft zu gön- nen, erschien Portugal einer grĂ¶ĂŸeren Zielgruppe als erschwinglich. 5 Der Neue Staat — so die Selbstbezeichnung der autoritĂ€ren Regierung zwischen 1933 bis 1974. 6 Zu nennen sind der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS), der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), die Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland (VAD), die Aktion Dritte Welt in Freiburg, die Infor- mationsstelle sĂŒdliches Afrika (ISSA), das Internationale Nachrichten- und Forschungsinstitut (INFI) und die Aktion Befreite Gebiete (vgl. Schliehe 2019). 7 Enzensberger, der 1972 das PhĂ€nomen ‚Revolutionstourismus‘ als erster systematisch untersuchte, fokussiert sich hauptsĂ€chlich auf die Jahre nach der Oktoberrevolution, in denen zahlreiche politisch motivierte Reisende die UdSSR „[b]esichtig[ten]“ (1974: 167). Da Enzensberger bei den daraus hervorgehenden Reiseberichten einen Mangel an kritischer Auseinandersetzung mit den Reisebedingungen feststellt, erhĂ€lt der Begriff eine eher nega- tive Konnotation, obwohl er solche Reisen, wĂŒrden sie als kollektive Praxis geschehen, fĂŒr relevant hĂ€lt. Dass sich solche Reisenden in grĂ¶ĂŸeren Gruppen organisieren, tritt laut dem Politikwissenschaftler VĂ­tor Pereira tat- sĂ€chlich bereits in den 1960er und 70er Jahren auf. Er bezeichnet sie als „neue Touristen“, „singulĂ€re Touristen“ oder auch als „revolutionĂ€re Touristen“ (2010: 93, 100, 102, 103). Obwohl sich die Reisenden wohl selbst nicht als ‚Tourist*innen‘ bezeichnen wĂŒrden, ist Pereiras Wortgebrauch nicht unbedingt abwertend gemeint.
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>mcs_lab> Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
The Journal
Title
>mcs_lab>
Subtitle
Mobile Culture Studies
Volume
2/2020
Editor
Karl Franzens University Graz
Location
Graz
Date
2020
Language
German, English
License
CC BY 4.0
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
270
Categories
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