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Mobile Culture Studies The Journal
>mcs_lab> - Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
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66 Mobile Culture Studies. The Journal 6 2o20 (Travel) de Almeida, MĂŒller, Wimplinger | Die Linke schaut nach Portugal Man kommt nach Portugal mit dem Flugzeug, dem Zug, dem Auto... Charter-FlĂŒge, die sich zu dieser Zeit vervielfachten, erlauben den Studenten kostengĂŒnstig nach Portugal zu gelangen. Dass sich die ‚traditionellen‘ Touristen, die Ordnung bevorzugen, von Portugal abwandten, schaffte fĂŒr viele Franzosen einen zusĂ€tzlichen Anreiz. Eigentlich wollte sich diese Reisepraxis, wie sie sich in den 1960ern und 70ern entwickelte, vom Massentourismus abheben. Manche wollten nicht als ‚ein- facher‘ Tourist verstanden werden, sie wollten vor dem Massentourismus und vor Pauschalreisen fliehen. (Pereira 2010: 100, Übersetzung Ana de Almeida) Wenn diese in den 1970ern unter einem neuen Paradigma einsetzende MobilitĂ€t von theore- tisch versierten, linksgerichteten, sich solidarisierenden Intellektuellen auch in einem kulturel- len und politischen Klima stattfand, das grundverschieden zu jenem der griechischen Antike ist, so schiebt sich angesichts der als ideologisch verbrĂ€mt geltenden Presselandschaft der 1960er Jahre dieses frĂŒhantike VerstĂ€ndnis der Theorie als Reise wieder in den Vordergrund. Wenn man den Nachrichten im eigenen Land nicht trauen kann, muss man dem theoroi glauben, der das Orakel treu bewahrt, nach Hause trĂ€gt und nicht im eigenen Interesse verfĂ€lscht. Aus- gelöst durch antikommunistische Reflexe, baute die bundesdeutsche Presse „sorgsam [
] ein Trugbild von der kommunistischen Unterwanderung“ (Sozialistisches BĂŒro 1975a: 2) in Por- tugal auf, gegen das die Autor*innen der im Umfeld von 1968 entstandenen Zeitschriften wie dem Kursbuch oder dem Merkur anschrieben. Die politische Erfahrung vor Ort, die nicht durch den Systemkonflikt zwischen Kapitalismus und Kommunismus zerrieben wurde, son- dern sich ĂŒber einen kritischen dritten Weg formulierte (vgl. Gilcher-Holtey 2008: 202), zeich- nete Theoretiker*innen aus, die durch ihre Praxis an einer Gegenöffentlichkeit partizipierten. In diesem Sinne erklĂ€rte auch Alfred Andersch 1975, von seiner Portugalreise zurĂŒckgekehrt, „an Eidesstatt, daß Sie, heute in Portugal reisend, keinen Schaden nehmen werden, weder an Ihrem GepĂ€ck noch an Ihrer Seele“ (Andersch 2004: 383). Zu einer solchen Glaubhaftmachung sah er sich angesichts der „dunkel raunenden oder offenherzig hetzerischen Berichterstattung“ (Andersch 2004: 383) ĂŒber Portugal in den westdeutschen Medien veranlasst. Es geht uns bei diesem Hinweis auf den theoros nicht darum, im Einzelnen festzustellen, ob die Inhalte tatsĂ€chlich unverfĂ€lscht, treu ĂŒberliefert und richtig bewertet wurden. Sondern mit diesem Wort ist — erstens — ein SelbstverstĂ€ndnis umrissen, das in einer kritischen Hal- tung gegenĂŒber der bĂŒrgerlichen Öffentlichkeit besteht und ein auf OrtsverĂ€nderung basieren- des Berichten miteinschließt, dem aufgrund von IntegritĂ€tszuschreibungen und AuthentizitĂ€t- seffekten Glauben geschenkt werden soll. Es geht uns um den Anspruch auf Überlieferungs- treue, nicht ihre tatsĂ€chliche ErfĂŒllung. Außerdem ist — zweitens — der theoros, anders als Journalist*innen, die ihrem Selbstbild nach ja ebenso vom anderen Ort aus wahrheitsgemĂ€ĂŸ berichten, an einer praktischen Entfaltung dessen interessiert, was man in den 1960er Jahren das Theorie-Praxis-Problem nannte. Dass also die politische Praxis, fĂŒr die man an den Ort des gesellschaftlichen Umbruchs reiste, vor dem Horizont einer theoretischen Fragestellung statt- findet, und man ĂŒber Reibungen und RĂŒckkopplungen in diesem Spannungsfeld berichtet. Mit dem Augenmerk auf den theoros als Reisenden werden die Karten neu gemischt, womit andere Personen ins Spiel kommen, die in Mantas Kanon der politischen Theorie gar nicht aufscheinen, nĂ€mlich Schriftsteller*innen, Wissenschaftler*innen und Filmschaffende. Sie wie- derum grenzen sich selbst wiederholt vom Theoretiker*innen-Typus des „Revolutionstouristen“ ab, der seine „EindrĂŒcke in die mitgebrachte Theorievorlage [presst]“ und nur „punktweise
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>mcs_lab> Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
The Journal
Title
>mcs_lab>
Subtitle
Mobile Culture Studies
Volume
2/2020
Editor
Karl Franzens University Graz
Location
Graz
Date
2020
Language
German, English
License
CC BY 4.0
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
270
Categories
Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal
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