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114 Mobile Culture Studies. The Journal 6 2o20 (Travel)
Mirja Riggert | SelbstportrÀt mit Spiegelreflex
einem adressierten Du, die immer wieder die Ich-Bezogenheit auflöst. Zum anderen (2) wird
die Darstellung als Reisebloggerin ĂŒber Momente der SelbstreferentialitĂ€t metaisiert2. Indem in
verbaler und visueller ReprÀsentation mittels metanarrativer Elemente auf die ReprÀsentation
der Reiseerfahrung Bezug genommen wird, wird die kongruente Selbstdarstellung sowie die
Vermittlung eines Ichs an die User/innen unterwandert. Dies zeigt sich vorrangig in der Selbst-
portrĂ€tierung mit Kamera, die ĂŒber die eigene Rolle als Fotografin und das bildliche Narrativ
an sich reflektieren lĂ€sst. Diese Form der metanarrativen Reflexion ĂŒber Bildlichkeit und Dar-
stellungspraktiken lenkt den Fokus der Betrachtung auf die Medialisierung der Reise. Dies
fĂŒhrt zur dritten Divergenz der ErzĂ€hlung (3), die sich im Innerbildlichen zeigt. Einerseits wird
die Reise auf den SelbstportrÀts als medialisiert prÀsentiert, andererseits wird in vielen Bildern
eine Unmittelbarkeit der Reiseerfahrung inszeniert.
Diese drei Ebenen der Fragmentierung der Darstellung ermöglichen es den Bloggerinnen,
die selbstkonzentrierte Haltung, die durch das Format About Page eingeleitet wird, zu desta-
bilisieren und mit sozialen Bedeutungen zu versehen. Sie zeugen damit von einem poten-
zierten Inszenierungscharakter der Seiten, da ĂŒber strategisch eingesetzte VervielfĂ€ltigungen
der Perspektiven auf das Sujet der Website â das reisende, autobiografische Subjekt â die
Ego-Konzentration stilistisch durchbrochen wird. Nicht zuletzt wirkt diese Form der Selbst-
sublimation in die Kommerzialisierung der ReiseerzÀhlung und die Vermarktungstechniken
auf den About Pages hinein.
Bevor die drei herausgearbeiteten Ebenen in detaillierten Bild-Text-Analysen der Seiten
beleuchtet werden, fĂŒhrt das folgende Kapitel in sozial- und kulturwissenschaftliche Grund-
lagen zum VerhÀltnis von visueller Wahrnehmung und ReisereprÀsentationen bzw. der wechsel-
seitigen Entwicklung von Fotografie und Tourismus ein.3
Okularzentrismus in Reiseberichten?
Auf blickgewinkelt schreibe ich Reisegeschichten, die â wenn ich ehrlich bin â ohne meine Fotos
vermutlich nur halb so spannend wĂ€ren. FĂŒr eine Story bearbeite ich immer zuerst die Fotos meiner
Reise, denn dann entsteht die Geschichte beim Blick auf die Fotos fast von alleine. (Chall, seit 2012)
Mit diesen Worten reflektiert Reisebloggerin Inka Chall ĂŒber die Bedeutung von Reisefotos
fĂŒr ihre ErzĂ€hlung: Die nachtrĂ€gliche Bearbeitung und anschlieĂende Betrachtung des visu-
ellen Materials dient als wesentliches Motiv zur Gestaltung eines Reisenarrativs. Den Fotos
wird damit fĂŒr die Erinnerung der Reise eine bedeutsame Rolle zugeschrieben. Sie dienen als
GedĂ€chtnisstĂŒtzen fĂŒr die Rekonstruktion des Erlebten. FĂŒr Margaret Topping ist es diese
âaide-mĂ©moireâ-Funktion (2016: 80) der Reisefotografie, die die ergĂ€nzende Illustration vieler
ReiseerzÀhlungen kennzeichnet.
2 Metaisierung wird mit Werner Wolf âals âmetanarrativeâ Selbstreflexion in nichtfiktionalen Autobiographienâ
(2007: 29) bzw. âals das Einziehen einer Metaebene in ein Werk, eine Gattung oder ein Medium [verstanden],
von der aus metareferentiell auf Elemente oder Aspekte eben dieses Werkes, dieser Gattung oder dieses Mediums
als solches rekurriert wirdâ (2007: 31). Diese Form der Selbstreferenz rege die Rezipierenden zur Reflexion ĂŒber
die TextualitÀt oder MedialitÀt des fokussierten Gegenstandes an (2007: 35).
3 An dieser Stelle danke ich der VolkswagenStiftung fĂŒr die Förderung meines Promotionsprojektes im Rahmen
des Forschungskollegs âNeues Reisen â Neue Medienâ der Albert-Ludwigs-UniversitĂ€t Freiburg.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 2/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal