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Mobile Culture Studies. The Journal 6 2o20 (Travel)
Mirja Riggert | Selbstporträt mit Spiegelreflex 115
Eine solche Bedeutungszuschreibung von Fotografie hat im Reisediskurs eine weitrei-
chende Tradition. Der Modus des Sehens galt innerhalb reiseliterarischer Darstellungen als
Authentizitätssignal: Mit der Ablöse rein wissenschaftlicher Exkursionen durch landschaftliche
Erkundungsreisen nach dem ästhetischen Vorbild romantischer Kunst im Europa des 18. Jahr-
hunderts erhielt die „eyewitness observation“ (Urry 2002: 147) eine große Bedeutung. Man
reiste, um zu sehen und nachzubilden, und weniger, um zu forschen. Die visuelle Wahrneh-
mung ermöglichte den Reisenden, Besitz und Kontrolle über das Gesehene auszuüben (Urry
2002: 147). Gerade der Fotografie als Bezeugung des Sehens kam dabei fĂĽr Bild-Text-Narrative
über Reisen eine bedeutende Rolle zu, wie Stephanie Leitch schreibt: „Photography, invented
around 1830, became the technology par excellence to reassert eyewitness claims that had been
the cornerstone of travel narratives in both textual and visual iterations“ (2019: 471). Für John
Urry manifestiert sich im Tourismus die Zentriertheit der westlichen Gesellschaften auf Visua-
lität (erörtert in seinem dreifach edierten Werk „The Tourist Gaze“); die Entwicklung vom
globalen Tourismus sei nicht ohne die der Fotografie zu denken (2002: 129) und Peter Robinson
spricht von der okularzentrischen Natur des Tourismus (2012: 355). Auch Topping benennt eine
historische Linie des Reiseerzählens in der westlichen Kultur, in der auto-optische Wahrneh-
mung und Augenzeugenschaft wesentliche Charakteristika der beschreibenden Figur darstell-
ten (2016: 78). Auch hier wird Fotografie in Abgrenzung zu anderen Medien der Repräsentation
benannt als das Instrument der Faktualitätsbekräftigung — als Beweis, wirklich dort gewesen
zu sein und dies fotografisch dokumentieren zu können (Topping 2016: 81).
FĂĽr Susan Sontag ist es diese Suggestion von Wahrhaftigkeit, die allen Fotografien Autori-
tät gebe: „The picture may distort; but there is always a presumption that something exists, or
did exist, which is like what’s in the picture“ (2019: 4). Zugleich wird hier die Möglichkeit des
Bildes aufgezeigt, Wirklichkeit zu verzerren. Wie Sontag weiter ausfĂĽhrt, stellten Fotografien
genauso eine Wirklichkeitsinterpretation dar wie Malereien und Zeichnungen (2019: 5). Auf
dieses Potential der Fotografie, Wirklichkeit zu verfälschen oder singuläre Sichtweisen festzu-
schreiben, verweisen auch Giorgia AlĂą und Sarah Patricia Hill (2018: 1). Topping benennt Foto-
grafie als die Macht, eine partielle oder gar fragile Erinnerung der Reise zu einer unveränder-
baren, festen Vision der bereisten Kultur zu zementieren, auch wenn die Bilder vermeintlich nur
wie ergänzende Illustrationen im Reisenarrativ scheinen (2016: 82). Insbesondere Reisenarrative
bergen die Gefahr, eine machtvolle Position des fotografierenden Subjekts zu etablieren und das
Fremde in einer exotisierenden Darstellung zu objektifizieren oder durch die Fixiertheit des Bil-
des einen festen Deutungsinhalt auf den dargestellten Wirklichkeitsausschnitt zu projizieren.
Zum Bild-Text-Verhältnis in Reiseblogs
Zeitgenössische Reiseblogs sind in ihrer medialen Beschaffenheit wesentlich vom Zusammen-
spiel verbaler und visueller Repräsentation gekennzeichnet. Im Gegensatz zu bildbasierten
Kommunikationsmedien werden die Bild- und Textelemente hier meist nebeneinandergestellt.
So wird ein Bild im Headbanner beispielsweise von einem darunter platzierten Text mit aus-
fĂĽhrlichen Informationen zum visuellen Eindruck begleitet; oder der Text wird gar als Schrift
ins Bild projiziert — eine deutliche Emphase der Gleichstellung von verbalem und visuellem
Material.
Eine wie die eingangs zitierte Reflexion ĂĽber die Verwendung von Text- und Bildnarrativen
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 2/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal