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130 Taubstummheit,c.
welche auf rauhen Gebirgen das Vieh weiden, vorgebeugt werden, wozu eine
die Ohren zugleich schüzende Kopfbedekung, oder eine leichte Verlegung der Ohren
mit Baumwolle hinreichend fein dürfte, besonders wenn schon eine Empfindlichkeit
der Ohren, oder etwas Schwerhörigkeit sich eingestellt hat. Selbst die Schwerhö-
rigkeit höheren Grades, falls sie noch nicht veraltet ist, wird durch Schuz des Ohres
mittels Baumwolle oft noch gehoben.
Die Taubstummheit ist gewöhnlich die Folge angeborner, wenn nicht in
der ersten Kindheit (besonders von heftigen Erschütterungen der Luft durch Pöller-
schießen, Donnerschläge :c.) erworbener Taubheit, von welcher nur in äußerst
seltenen Fällen eine Heilung erwartet werden kann. Ohne Unterricht und geselligen
Verkehr versinken die Geisteskräfte dieser Unglüklichm, zumal wmn sie eine kre-
tinische Anlage haben, in gänzliche Lethargie, so daß man sie von wirklichen
Kretinen nur durch den Mangel des körperlichen kretinösen Habitus unterscheidet.
Dieses Uebel dürfte nur durch die Errichtung mehrer Taubstummenschulen,
in welchen alle Taubstummen des Landes ohne Unterschied Unterricht und Aus-
bildung finden können, wenigstens insofern wesentlich gemildert werden, daß sie
denken, und ihre Gedanken äußern, auch arbeiten lernen, und die nötigen
Begriffe von Religion und Moral erhalten. Solche Anstalten könnten in geeig-
neten, gegenwärtig unbenüzten Schlöffern — vielleicht in jedem Kreise eine
errichtet werden. Die in Graz bedürfte nur einer Erweiterung. Da nach einem
buchhalterischen Ausweise in Eteiermark über 2000 Taubstumme, darunter über
400 zwischen 6 und 42 Jahren und etwa 300 bildungfähige sich befinden, so
würden drei solche Institute für das ganze Land hinreichend sein. Nach ihrer
möglichen Ausbildung, welcher auch die minder Bildungfähigen nicht entzogen
werden sollen, könnten die den wolhabenderen Gewerb- oder Landleuten angehöri-
gen Zöglinge in ihre Heimat entlassen werden. Schwieriger ist die Versorgung
derjenigen unterrichteten Taubstummen, welche keine Angehörigen mehr haben, denen
sie anzuvertrauen wären. Kinder von armen Landleuten können wol in ihre zu-
ständigen Gemeinden zurükgeschikt werden, wenn deren Vorstände für ihre Ver-
wendung, besonders bei der Landwirtschaft sorgen; Stadtkinder aber, selbst wenn
sie ein Handwerk erlernt haben, finden sehr schwer ihr Fortkommen; lein Meister
behält sie gerne in Arbeit, und sie verfallen häufig dem Bettel- und Vagabunden'
lebm. Selbst die bei Landwirten beschäftigten Taubstummen dürften, da sie in
der Nildunganftalt bessere Genüsse könnm gelernt, mit ihrem harten Lose nicht
immer zufrieden fein, und ein besseres suchend, manchmal ebenfalls dem Vaga-
bundenleben verfallen. Für diefe Unglüklichm und Verirrten wülde ein mit dem
Grazer-TaubstummeninMt verbundener Zufluchtort — eine Art Taubstummen-
Arbeithaus sehr zu empfehlen sein. in welchem sie Unterricht in einigen Gewerben
(durch Taubstumme) «nd Beschäftigung fänden, bis sich ein anderweitiges Unter-
kommen für sie ergäbe. Manche würden auch zu Lehrern oder Lehrerinn» in
dm Taubstmnmenschulen sich eignen.
Medizinisch-statistische Topografie des Herzogtumes Steiermark
- Title
- Medizinisch-statistische Topografie des Herzogtumes Steiermark
- Author
- Mathias Macher
- Publisher
- Ferstl'sche Buchhandlung
- Location
- Graz
- Date
- 1860
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.91 x 20.62 cm
- Pages
- 632
- Keywords
- Topographie, Kartografie, Statistik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen