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Hauptstadt Graz. Volksleben. 334
Es hat sich in Graz noch kein eigener Volkscharakter ausgebildet, wie z. V. in
Wien; doch ist der gemeine Mann, der Masse nach, mehr ernsten Sinnes,
wenig lebhaften Temperamentes, und ziemlich gleichmütig. Er geht mit klarem
Verstande, ohne hizige Uebereilung gerade auf sein Ziel los, ist gutmütig, offen
und ehrlich, obwol er diese Eigenschaften eben nicht zur Schau trägt. Religiöser
Sinn ist allgemein herrschend, besonders beim weiblichen Geschlechte.
« Vo lks leben .
2< F a m i l i e n l e b e n .
Wie in allen großen Städten, hat das Familimleben auch in Graz, zumal
in dm höheren Schichten viel an Gemütlichkeit verloren; Genußsucht, Luxus und
Sittenverschlimmerung leiten nur zu häufig von den stillen Freuden der Häuslich«
leit ab, und machen die Warme des Gemütes erkalten. Doch sind in den mitt<
leren, zumal in mancken bürgerlichen Kreisen noch die alten patriarchalischen
Sit ten herrschend geblieben, nach welchen der Hausvater über seine Familie eine
liebevoll strenge Herrschaft übt, die Moralität seiner Angehörigen und Dienstleute
überwacht, die Obhut und Pfleg« seiner Kinder von der zartesten Jugend auf
mit seiner treuen Gattin selbst besorgt, und sie nicht feilen, lieblosen Mietling en
überlaßt. Findet man auch einerseits das Band des Familienlebens sehr gelokert,
die Sucht nach Vergnügungen in auswärtigen Kreisen, Hoffart und Unmoralität
mit allen ihrm gesundheitschädlichen Folgen herrschend; so erquikt uns anderseits
wieder der Anblik so mancher anspruchlosen und wahrhaft edlen Familie in ihrem
häuslichen Glüke voll gegenseitiger zarter Sorglichkeit und aufopfernder Hinge«
bung, in welcher ein klarer religiöser Sinn und sittlicher Anstand jede Nnmoralität
ferne hält, und Frohsinn und Gesundheit aus jeder Miene spricht.
d . G e s e l l i g k e i t .
Man macht unserer Stadt nicht mit Unrecht den Vorwurf, daß sich ihre
Etändeklajsen zu auffallend von einander absondern, und dadurch die gehö-
rige Verschmelzung der Lebens- uud Bildung-Elemente hindern. In neuester Zeit
ist es wol schon viel besser geworden. Wesentlich hat dazu der im Jahre 4840 ins
Leben getretene Verein zum geselligen Vergnügen für alle Klaffen der gebildeten
Stände, „die Ressource" (für welchen man leider keinen teutschen Ausdruk
zu finden gewußt), beigetragen. Hier begegnen sich der Adel, die Beamten, der Mittel-
und Bürgerstand u. s. w. in den geräumigen Lesezimmern. Konversazion- und Tanz-
sälen, und man bemerkt bereits eine freundliche Annäherung, zum Teile sogar ein
inniges Durchdringen der ftüher mehr getrennt gewesenen Kreise. Gesellige Privat-
Vergnügungen werden häufig veranstaltet; Gesellschaft empfängt man von 6
bis 8 Nhr Abends und macht Visiten von 42 bis 3, in höheren Kreisen auch bis
3 Nhr Mittags. Das Theater wird von allen Klassen der Bevölkerung fleißig
besucht, und ist gewöhnlich recht gut bestellt. Zur Beförderung geselliger Vergnü-
gungen trägt auch die bürgerl. Schüzengesellschaft ihr Schärflein bei; der
Medizinisch-statistische Topografie des Herzogtumes Steiermark
- Title
- Medizinisch-statistische Topografie des Herzogtumes Steiermark
- Author
- Mathias Macher
- Publisher
- Ferstl'sche Buchhandlung
- Location
- Graz
- Date
- 1860
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.91 x 20.62 cm
- Pages
- 632
- Keywords
- Topographie, Kartografie, Statistik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen