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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
aufdieReminiszenz„dassduinÄgyptenSklavewarst“eineBemerkungüberdie
Befreiung aus der Knechtschaft (5,15; 15,15; 24,18). Aus dieser persönlichen
Erfahrungder implizitenAdressatenderMosereden inÄgyptenergibt sichdie
Gehorsamsforderung, bestimmte Sozialgebote zu beobachten.46 So lautet zum
Beispiel 15,15 imGesetz über die Freilassung eines hebräischen Sklaven oder
einer hebräischen Sklavin: „Denkdaran: Als du inÄgypten Sklavewarst, hat
JHWH,deinGott,dich freigekauft.Darumverpflichte ichdichheuteaufdieses
Gebot.“Die Logik dieserÄgypten-Sklave-Motivation entspricht derGrundge-
stalt des Dekalogs, nämlich dem Sachzusammenhang, der zwischen seinem
PrologunddenfolgendenGebotenbesteht.SiespiegeltsichindenbeidenTeilen
derKleinform: „Jahwe kann fordern, weil er selbst zuvor befreiend gehandelt
hat. Janochmehr: JahwesForderungistnichtsanderesalsdieWeisung,wiedie
geschenkteFreiheitbewahrtwerdenkann,ohnedasswiederUnterdrückungaus
ihr wird.“47 Immer ist es die Leidensgeschichte, die durch „Freikauf“ oder
„Herausführung“ineine„Befreiungs-“bzw.„Erlösungsgeschichte“aufgehoben
wird.DiesesVerhalten seinesGottes soll Israel im jeweils konkretGeforderten
nachahmen. Insgesamt sinddiebeidenFormenderÄgypten-Motivationen im
Deuteronomium sieben Mal belegt, was gewiss nicht zufällig ist. Denn die
deuteronomische Rhetorik unterstreicht durch Siebenergruppen vonAusdrü-
ckenoderFormeln,wastheologischwichtigist.WennaberdasDeuteronomium
die zweiÄgypten-Motivationen zusammensieht, warumdifferenziert es dann
beimAufenthalt Israelszwischendem„Fremden“unddem„Sklaven“?48
Offenbar stehendiebeiden soziologischenKategorien für zwei völligunter-
schiedlicheErfahrungen.Beide findensich imCredovon26,5–9.Nachdemder
PharaoJakobundseinerFamilieermöglichthatte, sichals„Fremde“(ge¯r%m) in
Ägyptenaufzuhalten(Gen47,4),„wohnteerdortalsFremder(gwr)mitwenigen
Leutenundwurdedortzueinemgroßen,mächtigenundzahlreichenVolk“(Dtn
26,5). Dieses für die Ägypter nun furchterregende Israel wurde in der an-
schließenden Periode unterdrückt: „Die Ägypter behandelten uns schlecht,
umsexegese,StuttgarterBiblischeAufsatzbände42,Stuttgart2006,S. 165–183,hier:S. 167–
175.
46 ImZusammenhangvon5,15;15,15;16,12istvonSklaven(undSklavinnen)dieRede, in5,15
und 16,12 auch vomFremden. In 24,18.22 wird sogar nur vomFremden und nicht vom
Sklavengesprochen.DieÄgypten-Motivationsteht somit inSpannungzumVokabulardes
Kontexts. SchondieseBeobachtung lässt fragen,warumdasDeuteronomiumin10,19und
23,8 Israel alsFremde(n)bezeichnet (Lohfink,Bearbeitung, S. 51).
47 Lohfink,Bearbeitung,S. 52.
48 Diese Frage, die erstmal von Lohfink, Bearbeitung, S. 50–55, befriedigend beantwortet
wurde, hat jetzt Awabdy, Immigrants, S. 142–152, ausführlich behandelt. Obwohl er den
ArtikelvonLohfinkkennt,beziehterihnabernichtinseineDiskussionein.Dennochkommt
erwieLohfinkzueinersemantischenUnterscheidungzwischendemFremden-Ägyptenund
demSklaven-Ägypten imDeuteronomium(vgl.Ebd., S. 162–164).
DerblindeFleck–dasGebot,denFremdenzu lieben 51
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik