Page - 55 - in Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben - Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
Image of the Page - 55 -
Text of the Page - 55 -
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
göttlicheAutorität.Dieklar abgegrenztenAbschnittemachendeutlich:Nächs-
ten- wie Fremdenliebe dürfen nicht von ihremKontext 19,17–18a bzw. 19,33
gelöstwerden, obwohl er –wie dieAuslegungsgeschichte zeigt –meist ausge-
blendetwurde.64DieseIsolierungförderteseineEntwicklungzueinemabsoluten
ethischenGrundsatz.
Die apodiktischenRechtssätze 19,11–18 definieren ein „erwartbares Solidar-
verhalten gegenüber demNächsten“65. Verboten werden Betrug, Gewalt gegen
sozialSchwache,ParteinahmegegendasRechtimGerichtundHasswieRache.Die
Anweisungengipfeln indenethischenVerhaltensregelnundGrundeinstellungen
derVerse17–18,diejedeArtvonKonfliktenzwischendem„Bruder“,„Mitbürger“
und „Nächsten“ betreffen.66Die beiden Verse sind parallel aufgebaut, zweimal
werden„Verbot“–„Abhilfe“–„Begründung,Motivation“durchlaufen67:
17DusollstdeinenBrudernicht indeinemHerzenhassen.
DusollstdeinenMitbürgernachdrücklichzurechtweisen,
sodassduseinetwegenkeineSchuldaufdich lädst.
18Dusollstdichnicht rächen
unddenAngehörigendeinesVolkesnichtsnachtragen,
sodass68dudeinemNächstenLiebeerweist (we ˘a¯habta¯ lere¯ aka¯)wie (man)dir (Liebe
erweist) (ka¯mika¯).69
64 DasbetontAdrianSchenker,DasGebotderNächstenliebeinseinemKontext(Lev19,17–18):
Lieben ohne Falschheit, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 124/2012,
S. 244–248,hier: S. 244–245.
65 Andreas Ruwe, „Heiligkeitsgesetz“ und „Priesterschrift“. Literaturgeschichtliche und
rechtssystematischeUntersuchungen zu Leviticus 17,1–26,2, Forschungen zumAltenTes-
tament26,Tübingen1999,S. 206.
66 Zum Folgenden s. vor allemGaß, Heilige, S. 300–314, der die exegetisch unterschiedlich
gelöstenProblemedes „Liebesgebotes“ inVers 18 ausführlichundmitüberzeugendenAr-
gumentendiskutiert.
67 JacobMilgrom,Leviticus17–22,AnchorBible3a,NewYork2000,S. 1646.
68 DerSatzanschlussistschwierigzubestimmen.DieKonjunktion„w“wirdz.B.inderVulgata,
der revidierten Einheitsübersetzung (2016) und der revidierten Lutherbibel (2017) nicht
wiedergegeben.Bleibt sieunübersetzt, erscheintdasLiebesgebot alsvondenvorausgehen-
den Verboten unabhängige Bestimmung oder als deren Zusammenfassung bzw. Begrün-
dung. „w“ ist polyvalent und wurde bisher verschieden verstanden. Fasst man die Kon-
junktionwie z.B. die Septuaginta koordinierend („und“) auf, dann bildet das Gebot der
Nächstenliebe eineweitereAnweisung inderReihe vonVerhaltensforderungenbeimUm-
gang mit dem Nächsten. Sie kann die vorausgegangenen Verbote aber auch wie in der
Zürcher Bibel (2007) adversativ („sondern“) weiterführen und formuliert dannmit dem
Liebesgebot einpositivesVerhalten.GibtmandieKonjunktionmodal („auf dieseWeise“)
wieder,bestehtdieErfüllungderNächstenliebe imEinhaltender vorausgehendenVerbote.
Ammeisten spricht für einenkonsekutivenSatzanschluss („sodass“).Dann ist dieNächs-
tenliebe die allgemeine Folge des Verzichts auf Hass und Rache – s. dazu Gaß, Heilige,
S. 303–304.
69 NachGaß,Heilige,S. 314,liegt in19,18.34mitka¯mika¯–wörtlich„wiedu“–„vermutlichein
verkürzter Vergleichssatz vor, der das Objekt beider Sätze miteinander vergleicht“. Der
DerblindeFleck–dasGebot,denFremdenzu lieben 55
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik