Page - 100 - in Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben - Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
Image of the Page - 100 -
Text of the Page - 100 -
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
3. DerHumanismusdesanderenMenschenals„immanente
Transzendenz“
KircheundreligiöserGlaubesindvonhoherethischerRelevanz, jedochnicht in
derWeiseeiner„Moralagentur“25,diepolitischeImperativemitdemVerweisauf
die Autorität Gottes untermauert, sondern vielmehr von einem vertieften
„vormoralischen“ Verständnis der Freiheit her:26Als „Frohbotschaft“ (Evan-
gelium) istder christlicheGlaubeanerster Stelle ein Indikativundkein Impe-
rativ. Durch denZuspruch von leistungsunabhängigemAnerkanntseinwill er
Menschen ermutigen, aus ihrerVerstrickung inAngst umsich selbst sowie in
Schuldundverpasste Freiheit auszubrechenunddasGute zuwollen.27Die bi-
blischeBotschaft gehtdavonaus,dassGottdenerstenSchritt gemachthatund
immer neumacht, indemerdemMenschen entgegenkommt, sei es in der Er-
fahrung des eigenen Lebens als Gabe sowie der Zuwendung und demGlau-
benszeugnisandererMenschen, seies inderBegegnungmitdemNächsten,die
denMenschen in die Verantwortung ruft und zum sittlichen Subjekt werden
lässt.
DerjĂĽdischeReligionsphilosophLevinasumschreibtdieBegegnungmitdem
Nächsten als einHerausgerissen-Werdenausdem„Seinstrott“derEgozentrik.
Dadurch ereigne sich eine „immenente Transzendenz“: Der Mensch über-
schreitet (lat. transcendere) sichselbst,wächstübersichselbsthinaus,gewinnt,
indem er sich für den Anderen öffnet, zugleich ein neues Verhältnis zu sich
selbst,das indereuropäischenEthikgeschichtevorallemunterdemLeitbegriff
„Humanismus“ reflektiert wurde.28 Levinas nennt seine phänomenologischen
Analysendaher „Humanismusdes anderenMenschen“29, verknüpft sie jedoch
mitmessianischenPerspektiven.FĂĽrchristlicheTheologie istdieserZugang in
hohemMaße anschlussfähig andieChristologie.30Biblisch ist derZusammen-
hang, dass imNächsten zugleich Gott begegnet, ein immer wiederkehrender
Topos (z.B.Mt25).
25 Hans Joas, Kirche als Moralagentur?, München 2016; zur interdisziplinären Debatte des
kritischen Einwurfs von Joas vgl. Jochen Sautermeister, Kirche –Nur eineMoralagentur?
EineSelbstverortung,Freiburg2018.
26 Zum Konzept des „Vormoralischen“ als Gegenstand moraltheoretischer Reflexion vgl.
Sautermeister, Kirche –Nur eineMoralagentur?; ChristophMöllers, DieMöglichkeit der
Normen.ÜbereinePraxis jenseitsvonMoralitätundKausalität,Berlin2018.
27 Vgl. Richard Schäffler, Philosophische Einübung in die Theologie, Bd.3: Philosophische
Einübung indieEkklesiologieundChristologie, Freiburg2004, S. 457–470.
28 Vgl.WolframWinger,Personalität durchHumanität.Das ethikgeschichtlicheProfil christ-
licherHandlungslehrebeiLactanz,Frankfurt1999.
29 EmmanuelLevinas,HumanismusdesanderenMenschen,Hamburg2005.
30 ZurVerknüpfunganthropologischer,messianischerundchristologischerZugängevgl.Ren8
Dausner,Christologie inmessianischerPerspektive,Paderborn2016.
MarkusVogt100
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik