Page - 55 - in Musik am Dom zu Salzburg - Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
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2.1 Das 17. und 18. Jahrhundert
hatte ermit seinem1756 erschienenenVersuch einer
gründlichenViolinschulebegründet, unddochmachte
er sich als der „gründliche und geschickteVirtuose,
der vernünftige und methodische Lehrmeister, der
gelehrteMusicus“131, als den ihnFriedrichWilhelm
Marpurg würdigte, in Salzburg nicht nur Freunde.
Dass er sich mit der Entfaltung des Talents seines
Sohnes alsMusiker undKomponist immermehr auf
seineRolle als Pädagoge zurückzog, spiegelt sich be-
reits 1766 imTagebuchP.BedaHübners, der am26.
April notierte: „[...] und obwohlen derVater selbsten
ein vortreflichermusicant ist, sonderbar auf der violi-
ne, doch produciret Er sich selbsten selten, oder gar
niemahlen, sondernnur seineKinder,welchewahrhaf-
tigWeltwunder zu nennen seynd [...]“132.WennLeo-
poldMozart fürMarpurgsZeitschrift133 seine eigenen
Kompositionenaufzählt, soerwähnteranersterStelle
zwar „viele contrapunctische und andereKirchensa-
chen“ und etwas später „zwölfOratorien“, derweit
größereTeil wird jedoch von zahlreichenweltlichen
Kompositionen eingenommen.Das zeigt sich auch im
CatalogusMusicalis des Salzburger Domes, wo sich
mit drei LauretanischenLitaneien (A 452–454), einer
Missa brevis (A 450) und demOffertorium„Parasti“
(A 451) bereits der heutigeQuellenstandwiderspie-
gelt. Dazu kommt noch die Sakramentslitanei inD
(A-Sd,Gb 127) imBestand desDommusikverein und
Mozarteums.OhnedieFrageentscheidenzuwollen,ob
und abwannLeopoldMozart seinKompositionspen-
sum–möglicherweise zugunsten seinerpädagogischen
Tätigkeiten – reduzierte, ist verständlich, dass jener
„fremdeComponist ausWien“, als derMichaelHaydn
am24. Juli 1763 zumerstenMal imSalzburgerHof-
diarium134 aufscheint, nach demTodAdlgassers und
demAbgang der beidenHofkapellmeisterDomenico
131Mozart, Leopold:Versuch einer gründlichenViolinschule,
entworfenundmit 4.Kupfertafeln sammt einerTabelle ver-
sehen, Augsburg: Lotter 1756, zit. nachBroy,Christian:
ZurÜberlieferung der großbesetztenmusikalischenWerke
LeopoldMozarts, Augsburg:Wißner-Verlag 2012, (Beiträge
zur Leopold-Mozart-Forschung, 5), S. 14.
132Eder, Petrus: „EinMönch als Zeitgenosse – Salzburg und
dieMusik zurMozartzeit,widergespiegelt imDiariumdesP.
BedaHübner“, in:PetrusEder/GerhardWalterskir-
chen (Hrsg.):DasBenediktinerstift St. Peter in Salzburg
zur ZeitMozarts, Salzburg:Verlag St. Peter 1991, S. 43–87,
hier: S. 70.
133[L.Mozart]: „Nachricht von demgegenwärtigen Zustande“,
S. 185.
134Zit. nachCroll,Gerhard/KurtVössing (Hrsg.): Johann
Michael Haydn. Sein Leben – sein Schaffen – seine Zeit,
Wien:Neff-Verlag [1987], S. 34. Fischietti undRust für dieMusikproduktion an der
Domkirche immerwichtigerwurde.
JohannMichaelHaydn (1737–1806)135, der jüngere
Bruder JosephHaydns, war zunächst ab 1757 in der
Kapelle desBischofs vonGroßwardein (Oradea,Ru-
mänien) engagiert undwurde dort 1760 unterAdam
Graf Patàchich zum Kapellmeister befördert. Aus
dieser Zeit datieren seine ersten Instrumental- und
Kirchenwerke, u.a. eineMissaS.CrucisMH56.Über
Empfehlung desDomherrnVinzenzGraf Schratten-
bach trat er 1763als „Concert-Meister“ indieDienste
des Salzburger Fürsterzbischofs. In dieser Funktion
komponierte er an seiner neuenArbeitsstätte in den
60er-Jahren vor allemKammermusik, Sinfonien,Kon-
zerte und Serenaden,während dieKirchenmusik nur
amRande zu seinenAufgaben gehörte. Dennoch ent-
standenmehrere Litaneien (MH66,MH71,MH74,
MH98) und zahlreiche kleinereKirchenwerke, sowie,
als erste größereMesse für Salzburg, dieMissa S. Ni-
colai TolentiniMH109 für dieKirchenmusik bei den
Augustinern inMülln,dieHaydn1771 füreingrößeres
Ensemble bearbeitete.
Nach demTodSigismundGraf Schrattenbachs, für
dessenExequienHaydn in nur zweiWochen dasRe-
quiem in c-Moll MH 155 (Schrattenbach-Requiem)
komponierte, änderte sich vieles imMusikleben der
Bischofsstadt. Fürsterzbischof Hieronymus Collore-
do war zwar musikinteressiert – er war selbst ein
passablerGeiger –, schränkte aber das höfischeMu-
sikleben aus budgetärenGründen in vielerHinsicht
ein. So ließ er z.B. 1775 ein öffentlichesTheater er-
richten,dasvon fahrendenSchauspieltruppenbespielt
wurde, in der Folgewurde 1778 dasUniversitätsthea-
ter geschlossen. Theater undOperwar fortan nicht
mehr Sache desHofes und derUniversität, sondern
bürgerlicheUnterhaltung.
FürMichaelHaydn bedeuteteColloredosAmtsan-
tritt eine verstärkteHinwendung zurKirchenmusik,
zunächst „ganz gegen seinenGeschmack“136. Hatte
er sich schonmit demSchrattenbach-Requiem, an des-
senAufführungwohl auchVater und SohnMozart,
gerade zurück aus Italien,mitgewirkt haben dürften,
135Für die nachfolgendenAusführungen vgl.MGG2, Personen-
teil, Bd. 8, Sp. 1095–1103.
136SigismundNeukommandenLeipzigerVerlegerAmbrosius
Kühnel in einemBrief vom14. Jänner 1809, zit. inCroll/
Vössing: JohannMichael Haydn, S. 166.
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Musik am Dom zu Salzburg
Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
- Title
- Musik am Dom zu Salzburg
- Subtitle
- Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
- Authors
- Eva Neumayr
- Lars E. Laubhold
- Ernst Hintermaier
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-540-0
- Size
- 21.0 x 30.2 cm
- Pages
- 432
- Category
- Kunst und Kultur