Page - 57 - in Musik am Dom zu Salzburg - Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
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2.1 Das 17. und 18. Jahrhundert
seinem ehemaligen Lehrer bei den Sängerknaben von
St. Stephan inWien, JohannGeorgReutter, bekom-
men habe.139 Das ist deshalb erwähnenswert, weil
der Zeitpunkt, von dem ab im Salzburger Domdie
Epistelsonatemit einemgesungenenGraduale ersetzt
wurde, bisher immer mit 1783, dem Jahr, in dem
Haydn seinenGradualien-Zyklus begann, angegeben
wurde.140 Jene „Veränderungen“, die sich, wieMan-
fredHermann Schmid annimmt, im Jahr 1783 in der
Dommusik vollzogen und die Ersetzung jenes nach
der Lesung „bis dahin“ üblichen Instrumentalstücks
durch ein gesungenesGraduale betrafen, dürften sich
in den 70er-Jahren bereits angekündigt haben:Dass
Haydn dann 1783 von Hieronymus Colloredo „den
Auftrag [erhielt], zur Verbannung der Symphonien,
welcheunter demHochamte zwischenderEpistel und
demEvangelium zumAergerniß andächtiger Seelen
undmusikalischerOhrenherabgeleyertwurden, etwas
anders nach beliebigemWorttexte zu schreiben“141,
dürfte eine schon länger alsMissstand empfundene
Praxis endgültig beseitigt haben.
Michael Haydn begannmit der Komposition des
Graduale „Viderunt omnes“MH341 fürWeihnach-
ten 1783 und hatte zwei Jahre später „alle wichtigen
Feste, die amDomoder derKapelle imSchlossMira-
bell gefeiert wurden,mitGradualien und Sequenzen
ausgestattet“142. 1787 fing er an, die anderen Sonn-
tage desKirchenjahres und die noch fehlendenFeste
mitGradualien zu versehen,wobei diese zunächst für
139Es dürfte sich dabei umdas einzige in derReiheA erhalte-
neGraduale eines nicht in Salzburg tätigen italienischen
Komponisten gehandelt haben, nämlich um„In omni tribu-
latione nostra“ vonAntonio Lotti (1666–1740) (A 1329).
140Vgl.Schmid/Eder: „L.Mozart –W.A.Mozart –M.Haydn“,
S. 275.
141[Rettensteiner,Werigand/FranzJosephOtter/Georg
Schinn]:Biographische Skizze von Michael Haydn. Von
des verklärten Tonkünstlers Freunden entworfen, und zum
Beßten seinerWittwe herausgegeben, Salzburg:Mayr’sche
Buchhandlung 1808, S. 18.
142Schmid/Eder: „L.Mozart – W.A.Mozart – M.Haydn“,
S. 275. St. Peter entstanden sein dürften.143 Im Jänner 1791
war derGradualienzyklus dann abgeschlossen.
DieGradualien verbreiteten sich rasch, vor allem
auch deshalb, weil SalzburgerHofkopisten, insbeson-
dereFelixHofstätter (→S.310), einenschwunghaften
Handel damit betrieben.Bereits am2.August 1788
bittetWolfgangAmadéMozart seine Schwester von
Wienausum„die ‚Graduali‘ soer [M.Haydn]geschrie-
ben“144. FrüheAbschriftenHofstätters befinden sich
auch imMusikalienarchiv der Erzabtei St. Peter und
imMusikarchiv derBenediktinerabtei Einsiedeln, wo-
hin sie allerWahrscheinlichkeitnachausdemBestand
derBenediktinerabteiWeingarten gelangten.145Für
Passauwurde der Zyklus vor 1798 abgeschrieben146,
fürdieSammlungdesGroßherzogsFerdinand III. von
Toskana147 vor 1806, denn sein StaatsministerFederi-
coManfredini überreichteHaydn noch amTotenbett
100 Gulden, die der Kurfürst für das Kopieren der
Gradualien gesandt hatte.148
Als Hieronymus Colloredo 1782 mit seinem Hir-
tenbrief149 anlässlich des 1200-Jahr-Jubiläums des
Erzstiftes Salzburg den deutschenKirchengesang „in
allenKirchenunsersFürstlichenErzstiftes,wokeinor-
dentlicherChorgehaltenwird [alsonurmitAusnahme
143Vgl.Hübner, P. Beda: „Nachricht über das Ableben des
großenTonkünstlers JohannMichaelHaydn“.Kommentiert
undmit einerEinleitungversehenvonErnstHintermaier,
in:PetrusEder/GerhardWalterskirchen (Hrsg.):Das
Benediktinerstift St. Peter in Salzburg zur Zeit Mozarts,
Salzburg: Verlag St. Peter 1991, S. 195–218, hier: S. 206:
„DieseGradualen auf dieHauptfeste des Jahresmachte er
fürdieDomkirche: fürdieübrigenSonntägedesJahreskom-
ponirte er solche blos für dasKloster St. Peter in Salzburg,
dieauch indemKlosterpetrischenMusikChoreinenwahren
kostbarenSchatzausmachen.“Wie schonErnstHintermaier
festgestellt hat, dürfte dies denTatsachen entsprechen, da
derCatalogusMusicalis des SalzburgerDoms tatsächlich
lediglich 51Gradualien fürHaupt- undHochfeste desKir-
chenjahres anführt. Zahlreiche dieserGradualien kopierte
dannJoachimJosephFuetschnach1822 für denSalzburger
Dom, vgl.Katalog.
144Bauer/Deutsch:Mozart.BriefeundAufzeichnungen,Bd.4,
S. 72.
145Vgl.Neumayr, Eva/LarsE. Laubhold: „DieQuellen der
Salzburger Dommusik in derMusikibibliothek des Bene-
diktinerklostersMaria Einsiedeln (Schweiz)“, in:Schweizer
Jahrbuch für Musikwissenschaft, 30 (2010), S. 163–188,
hier: S. 172–175.
146MGG2, Personenteil, Bd. 8, Sp. 1100.
147Zudieser Sammlung→S. 306f.
148Jancik, Hans:Michael Haydn. Ein vergessener Meister,
Zürich, Leipzig u.Wien:Amalthea-Verlag 1952, S. 276.
149Waldsee-Mels,HieronymusColloredovon: Hirtenbrief
auf die am 1tenHerbstm. dieses 1782ten Jahrs, nach zu-
rückgelegten zwölften Jahrhundert, eintretende Jubelfeyer
Salzburgs, Salzburg:Waisenhausdruckerei 1782, S. 62–71.
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Musik am Dom zu Salzburg
Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
- Title
- Musik am Dom zu Salzburg
- Subtitle
- Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
- Authors
- Eva Neumayr
- Lars E. Laubhold
- Ernst Hintermaier
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-540-0
- Size
- 21.0 x 30.2 cm
- Pages
- 432
- Category
- Kunst und Kultur