Page - 106 - in Musik am Dom zu Salzburg - Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
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4 SonderfallMozart
kation zur SalzburgerMusikgeschichte8 – immerhin
jener zweiMusiker, die imUmfeld derMozarts als
Hofkapellmeister vonAmtswegen das offizielleMu-
sikleben Salzburgs am nachhaltigsten prägten und
deren kirchenmusikalischeProduktion9 für Salzburg
jeneMozartsumeinvielfachesübersteigt (→Graphik
S. 199).
Mozarts Fortgang aus Salzburg legt es nahe, seine
Stellung in der SalzburgerMusikgeschichte vor allem
hinsichtlich seinesHerkommens aus der Salzachstadt
zu bestimmen.Gerade imkirchenmusikalischenZu-
sammenhang wurde er mit Vorliebe als Teil einer
‚SalzburgerTradition‘ gesehen10,womit einerseits ver-
dienstvoll dieBezügederMusikMozarts zuderMusik
seinerSalzburgerZeitgenossenaufgedecktwurden,an-
dererseits aber auch suggeriert wurde, die Salzburger
Kirchenmusik habe inMozartsKirchenmusik ihren
Höhepunkt und ihr Ziel gefunden.DieMusikgeschich-
te Salzburgs vor undnachMozartwurde in derFolge
gemeinhin ignoriert.
Insofern es lange Zeit schlüssig erschien, die Vor-
stellung einer nachderAuflösungdesHofstaates 1806
überdieStadthereinbrechenden„kulturelle[n]Lethar-
gie“ ander „geistige[n]EntwurzelungdesGedächtnis-
ses anMozart in seinerHeimatstadt“ festzumachen11,
war es – „imVorgriff gewissermaßen auf den großen
Zusammenbruch Salzburgs“12 – ein nur kleiner ge-
8Stenzl, Jürg/ErnstHintermaier/GerhardWalterskir-
chen (Hrsg.):SalzburgerMusikgeschichte. VomMittelalter
bis ins 21. Jahrhundert, Salzburgu.München:Pustet 2005.
9Nur diese ist aufgrund des Verlusts der primärenQuellen
zur weltlichenMusik bei Hof für quantitative Vergleiche
geeignet.
10Vgl.Schmid,ManfredHermann:Mozart und die Salzbur-
ger Tradition, Tutzing: Schneider 1976, (Münchner Ver-
öffentlichungen zur Musikgeschichte, 24);Ebel, Beatri-
ce:Die Salzburger Requiemtradition im 18. Jahrhundert:
Untersuchungen zu denVoraussetzungen vonMozarts Re-
quiem, Dissertation,UniversitätMünchen 1997;Fellerer,
KarlGustav:DieKirchenmusikW.A.Mozarts, Laaber:
Laaber 1985;Haspel:Mozarts Vespermusiken;Aringer-
Grau, Ulrike:Marianische Antiphonen von Wolfgang
AmadeusMozart, JohannMichael Haydn und ihren Salz-
burger Zeitgenossen, Tutzing: Schneider 2002, (Münch-
nerVeröffentlichungen zurMusikgeschichte, 60);Neumayr:
„DieRequiemkompositionenLuigiGattis“.
11„DiekulturelleLethargie sprichtausderunbegreiflicherschei-
nendenTatsache, daßMozartsName oderWerk in Salzbur-
gerTageszeitungenwährend der beiden ersten Jahrzehnte
des 19. Jahrhunderts kein einziges Mal erwähnt wurden.
Die geistige Entwurzelung desGedächtnisses anMozart in
seinerHeimatstadtmag als ein Symbol für seine historisch
bedingteFremdheit gelten (dienichtmitder ‚Fremdheitdes
Genies‘ als philosophisches Problem zu verwechseln ist).“
Gruber,Gernot:Mozart und die Nachwelt, Salzburg u.
Wien:Residenz-Verlag 1985.
12Eichmann etal.: „Podiumsdiskussion“, S. 453. danklicher Schritt, bereitsmit demWeggangMozarts
nachWien eine Art vorläufiges ‚Ende‘ der Salzbur-
ger Musikgeschichte zu imaginieren und dem letz-
tenVierteljahrhundert höfisch geprägterMusikkultur
als einembloßen ‚Nachhall‘, quasi einem chronologi-
schenÜberhang nach dem Schluss der eigentlichen
Geschichte, dieBedeutsamkeit abzusprechen, die ei-
ne eingehendewissenschaftlicheAuseinandersetzung
gerechtfertigt hätte.Mittlerweile gibt esAnzeichen,
dass dieser Mechanismus überwunden ist, und die
Autoren des vorliegendenBandes können für sich be-
anspruchen, allein durch eine Fokussierung auf die
Zeit nachMozart zu der Erkenntnis beigetragen zu
haben: „Da gehtMusik auf einem sehr hohenNiveau
weiter. [...] Und es gehtweiter, als hätteMozart in
dieser Stadt nie gelebt.“13
Sowie die vermeintlicheZäsur des Jahres 1781 von
den Salzburger Zeitgenossen kaum als solche wahr-
genommen worden sein dürfte, kann auch die be-
haupteteNicht-Rezeptiondes gesamtenMozart’schen
Œuvresweder als Folge noch als Symptomeines ge-
nerellen politischen, wirtschaftlichen und geistigen
Verfalls im frühen 19. Jahrhundert inAnspruch ge-
nommen werden, zumal der kulturelle Niedergang
während der napoleonischenWirren nicht so total
war, als dass er sich –wir sprechen hier nur für die
Musikkultur – nicht durch genauere Forschungen ent-
schieden relativieren ließe.14Gerade dieDommusik
war eine Institution, die in ihrer Funktion alsmusika-
lischerTeil derMetropolitanliturgie eine derwenigen
Konstantenbildete,die epochenübergreifendzwischen
dem18.unddem19.Jahrhundert – zwischenMozarts
Stadt und derMozart-Stadt – vermittelte.15
13ManfredHermannSchmidanlässlichdesSymposiums„Keine
Chance fürMozart“ zuLeben undWerkLuigiGattis, vgl.
ebd., S. 454.
14Vgl. z.B. Laubhold/Neumayr: „...Was mein Bruder in
seinenChören“;Neumayr/Laubhold: „Quellen zurRezep-
tion des Requiems“; Šedivý, Dominik (Hrsg.): Salzburgs
Musikgeschichte imZeichen des Provinzialismus?Die ers-
ten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Bericht einerTagung
der Forschungsplattform „SalzburgerMusikgeschichte“, 23.
bis 25. September 2012,Wien:Hollitzer 2014, (Veröffent-
lichungen der Forschungsplattform „Salzburger Musikge-
schichte“, 2).
15Neumayr,Eva/LarsE.Laubhold: „Kirchenmusik amSalz-
burger Dom in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhun-
derts“, in:Dominik Šedivý (Hrsg.): Salzburgs Musikge-
schichte im Zeichen des Provinzialismus?Die ersten Jahr-
zehnte des 19. Jahrhunderts.Bericht einerTagung der For-
schungsplattform „SalzburgerMusikgeschichte“, 23. bis 25.
September 2012,Wien:Hollitzer 2014, (Veröffentlichungen
der Forschungsplattform „SalzburgerMusikgeschichte“, 2),
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Musik am Dom zu Salzburg
Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
- Title
- Musik am Dom zu Salzburg
- Subtitle
- Repertoire und liturgisch gebundene Praxis zwischen hochbarocker Repräsentation und Mozart-Kult
- Authors
- Eva Neumayr
- Lars E. Laubhold
- Ernst Hintermaier
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-540-0
- Size
- 21.0 x 30.2 cm
- Pages
- 432
- Category
- Kunst und Kultur