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UNFASSBARE KOMPLEXITÄT UND
ÜBERWÄLTIGTES STAUNEN:
DIE THEATERHAFTE INSZENIERUNG HÖFISCHER
RÄUME IM DIENST DER KÖNIGLICHEN EVIDENZ
Matthias Müller
1 Bühnenhafte Gestaltung, fragmentierte Wahrnehmung:
die Schlossbesucher als Mitspieler in einem Schauspiel
jenseits der kognitiven Rationalität
Wenn die Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes nach der Gestalt, Materialität,
Funktion und Zeichenhaftigkeit des höfischen Musiktheaters fragen, dann bietet dies die
Gelegenheit, auch den übergreifenden architektonischen und bildkünstlerischen Kontext
und damit das rahmensetzende und ordnungsstiftende bau- und bildkünstlerische System
eines Hofes und seiner Residenz in den Blick zu nehmen. Denn wie bereits Norbert Elias
in seiner zum Klassiker gewordenen Studie über Die höfische Gesellschaft1 bemerkte, ist
dieses übergreifende gestalterische, von der höfischen Residenzarchitektur und ihrer
Ausstattung bestimmte System ganz wesentlich durch Merkmale des Theaterhaften und
der Inszenierung bestimmt. Für Elias erschloss sich dieses Moment einer theaterhaf-
ten architektonischen Inszenierung am Beispiel von Schloss Versailles (Abb.
1), dessen
Architektur in besonderer Weise durch das Element des umschlossenen Platzraums bzw.
des Hofes bestimmt wird.2 Platz- und Hofräume vor einem Schloss oder Palais sind ein
zentrales Element adliger und höfischer Architektur, vor allem seit dem 17.
Jahrhundert.
Denn an ihnen zeigt sich, wie es in Denis Diderots berühmter »Encyclopédie« heißt, »le
rang du personnage qui devoit l’habiter« (der Rang der Personen, die darin wohnen).3
In Versailles sind es gleich mehrere und unterschiedlich dimensionierte und gestaltete
Höfe, die dem Hauptschloss, dem sog. Corps de logis, vorgelagert sind. Norbert Elias
1 Elias 1969. Dieses Buch basiert auf Eliasʼ bereits 1933 eingereichter Habilitationsschrift »Der höfische
Mensch. Ein Beitrag zur Soziologie des Hofes, der höfischen Gesellschaft und des absoluten König-
tums« (diesen Titel gibt Korte 1988, S. 118, an). Da das Habilitationsverfahren nach Einreichung der
Schrift aufgrund der Schließung des Frankfurter Instituts für Soziologie durch die Nationalsozialisten
nicht abgeschlossen werden konnte, erschien die Schrift erst viele Jahre später und unter einem ande-
ren, dem oben genannten Titel.
2 Zu Schloss Versailles, seiner Entstehungsgeschichte und Funktion siehe den umfassenden Beitrag von
Sabatier 2016, S. 55–76.
3 Diderot / D’Alembert 1777, S. 25. Siehe hierzu auch Elias (1969), S. 71.
Veröffentlicht in: Margret Scharrer, Heiko Laß, Matthias Müller: Musiktheater im höfischen
Raum des frühneuzeitlichen Europa. Heidelberg: Heidelberg University Publishing, 2019.
DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.469
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Title
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Subtitle
- Hof – Oper – Architektur
- Authors
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Editor
- Matthias Müller
- Publisher
- Heidelberg University Publishing
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Size
- 19.3 x 26.0 cm
- Pages
- 618
- Keywords
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Category
- Kunst und Kultur