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Theater als Medium höfischer Kommunikation
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Ulysses, seines mangelnden Vertrauens in die Gemahlin und der daraus erwachsenden
Eifersucht, die ihn blind macht.
Ulysses‹ doppeltes Verstellungsspiel bestimmt alle drei Akte mit Ausnahme der
letzten 4 Szenen. Es wird gekontert von Penelopes Spiel im Spiel, das sie den gesam-
ten 3. Akt hindurch spielt, und zwar von dem Moment an, als sie, in tiefer Klage über
Ulysses‹ Tod, von Lippone erfährt, wer sich hinter der Bettlermaske verbirgt (II/8). Ge-
kränkt über den Vertrauensbruch beschließt sie, den Spieß umzudrehen und Ulysses‹
Eifersucht erst noch zu nähren, um ihn schließlich umso mehr zu beschämen. Sie gibt
sich, wie schon gesagt, als Braut von Olmiro aus und spielt ihre Komödie bis zur aller-
letzten Szene (III/15). Erst als der verzweifelte Odysseus sich selbst vergiften will, weil
er meint, sie an Olmiro verloren zu haben, entdeckt sie ihm, dass sie sich nur für sein
Misstrauen habe rächen wollen. Die Singspielhandlung schließt mit einer von beiden
gesungenen Vergebungsarie.
Auch Penelopes Listen sind gegenüber dem homerischen Prätext gravierend abgeän-
dert. Ihre eigentliche List, die Web-List, verbindet sich geradezu ikonografisch mit der
Penelopeia-Figur und ist deshalb unverzichtbar auch im Singspiel. Auch hier »symboli-
siert und visualisiert« die Web-List ganz grundsätzlich die Treue und Tugendhaftigkeit
der Penelope.41 Allerdings bestimmt diese List nur zwei aufs Land verlegte Szenen am
Anfang (I/5 und I/6). Sie bietet Penelope hauptsächlich die Gelegenheit einen Tugend-
diskurs zu führen, und zwar ihrem Vater Icario gegenüber, der sie mit Vernunftgründen
zu einer neuen Eheschließung drängt und bemerkt hat, dass seine Tochter die Fertig-
stellung des Gewebten durch das nächtliche Wiederauftrennen desselben verzögert. Die
Details der Web-List, nämlich was für ein Gewebe Penelope herstellt und für wen,42 sind
gegenüber der Tugendrede ganz unwichtig geworden: sie werden nicht einmal mehr
erwähnt. Durch die Verlegung dieser Szenen aufs Land können zwei Topoi miteinander
verbunden werden: Keuschheit als weibliche Haupttugend und das Leben auf dem Land
als Ort der Tugend im Unterschied zu Hof und Stadt. Damit ist dem Web-List-Motiv
aber Genüge getan, es spielt keine Rolle mehr im weiteren Geschehen.
Penelopeias zweite List, der sicheren Erkennung des Gemahls dienend, wird ganz
überflüssig. Denn die Penelope des Singspiels weiß dank Lippone schon seit Szene II/8
Bescheid darüber, dass es sich bei dem Bettler um Ulysses handelt und muss es nicht
erst selbst herausfinden.
Wichtig für die Sinngenerierung ist aber die gegenüber dem Prätext frei erfundene
Verstellung Penelopes als untreue Gemahlin – undenkbar in Homers Text, zudem ein
typisches Komödienelement. Aber gerade diese Verstellung bestimmt nicht nur den
41 Stenmans 2013, S.
349. Stenmans zufolge ist die treue Penelope »eine geeignete Vergleichsfigur für die
Kaiserinwitwe«, zu deren Geburtstag die Oper in Wien aufgeführt worden war. Ebd., S. 350. Für die
Gothaer Aufführung lässt sich dieses personalisierte Argument nicht anführen, es sei denn in Bezug auf
weibliche Tugend als höfischen Wert schlechthin.
42 Bei Homer das Leichentuch für Laertes, den Vater des Odysseus, der im Singspiel gar nicht vorkommt.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Title
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Subtitle
- Hof – Oper – Architektur
- Authors
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Editor
- Matthias Müller
- Publisher
- Heidelberg University Publishing
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Size
- 19.3 x 26.0 cm
- Pages
- 618
- Keywords
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Category
- Kunst und Kultur