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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa - Hof – Oper – Architektur
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Page - 131 - in Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa - Hof – Oper – Architektur

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Pathos der Distanz – die Etablierung der zentralen Hofloge im Theaterbau (1600–1750) 131 In diesem sich zwischen der Mitte des 17.  und der des 18.  Jahrhunderts entfaltenden Prozess kam Francesco  I. d´Este, der sich nach dem durch die Päpste lehensrechtlich erzwungenen Verzicht auf Ferrara im kommunal geprägten Modena eine neue mo- derne Residenz samt konkurrenzfähigem Hof zur Legitimation seines anfangs nach innen und außen wenig stabilen Herzogtums, nicht zuletzt durch die aufwendigsten Turniere und Theaterevents seiner Zeit erkämpfte, eine strategisch entscheidende Rolle zu.51 Der Herzog betraute in Kenntnis des Teatro Farnese und des Coliseo im Buenretiro Gaspare Vigarani, Mitarbeiter Aleottis, 1654–1656 mit dem Bau des Teatro Ducale in der Sala della Spelta im ehemaligen Palazzo Comunale in Modena. Für den im emiliani- schen Typus mit Balkonlogen in Rängen und gradines angelegten Saal sind sowohl ein palco ducale im Parterre, aber auch palchesse für die autorità comunali gesichert. Dabei galt: »[…] the duke’s centrality was nonnegotiable at his own theatre.«52 Der in den großen Turnierfesten auf der piazza oder im cortile der Residenz aktiv teilnehmende Herzog war hinter seinem erhöhten parapetto im Parterre nur noch Zuschauer. Gerade dieses teatro pubblico wurde direktes Vorbild für Vigaranis Pariser salle des machines (1660–1662) in den Tuilerien, das berühmteste höfische Theater in einem europäischen Schloss der zweiten Hälfte des 17.  Jahrhunderts, »cornerstone of a new royal image«,53 in dem Louis  XIV. aber nicht nur inmitten einer protokollgerecht hierarchisierten Sitz- ordnung54 des bedeutendsten Hofes der Epoche thronte, sondern ebenso als roi dansant die szenische Handlung anführte. Sein erhöhter Platz im Zentrum des théâtre55 wie das Parterre in Frankreich bezeichnenderweise genannt wurde, erleichterte den Wechsel. Wenig beachtet wurde dagegen bislang in der einschlägigen Forschung der zweite Sitz des Königs, seine loge grillé in der Saalachse über dem rückwärtigen Eingang (Abb.  6).56 Die Inkognitologe in dieser Position war eine französische Besonderheit, die von ande- ren Höfen nie rezipiert wurde. Der Sonnenkönig, der in Vigarinis reggia del sole erst im Kreis seines vormals fron- dierenden Adels, dann ausschließlich mit professionellen Tänzern auf die Bühne trat, 51 Erst durch die grundlegende Arbeit von Jarrard 2003 ist der eminente Beitrag des Estehofes in Mo- dena im Übergang vom Turniertheater zur Hofoper im europäischen Horizont verständlich geworden. Resümierend stütze ich mich auf Jarrard 2003, Kap.  2. 52 Jarrard 2003, S.  76; Christina v. Schweden hatte Vigaranis Theater 1658 besucht, ebd., S.  87; Lenzi 2009, S.  180. 53 Jarrard 2003, S.  193. 54 Der Versuch, den Botschaftern in seitlichen balcons eine eigene Platzkategorie mit eigenem Zugang zuzu- weisen, entfernt sie aus der Nähe zum herrschaftlichen dais und konnte das Problem erbitterter Präzedenz- streite nicht lösen, Canova-Green 2006, S.  350–351. In der Forschung bleibt strittig, inwieweit städtisches Publikum zu bestimmten Aufführungen Zutritt hatte, um den Saal zu füllen, Coeyman 1998, S.  53. 55 Mit Bezug auf die systematisch stringente Unterscheidung zwichen Hoftheater und teatro pubblico im Traktat des Carini Motta 1676: Hammitzsch 1906, S.  39–45; Hass 2005, S.  360–365. 56 Coeyman 1998, S.  53; Garbero Zorzi, 1985, S.  232; Lawrenson 1986, S.  244–248. Die Loge ist nur auf Blondels Querschnitt des Theaters und auf dem Grundriss des Tuilerienpalastes in der Architecture fran- çaise (1756) zu sehen und rezipiert den balcon im Madrider Coliseo.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa Hof – Oper – Architektur
Title
Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Subtitle
Hof – Oper – Architektur
Authors
Margret Scharrer
Heiko Laß
Editor
Matthias Müller
Publisher
Heidelberg University Publishing
Date
2020
Language
German
License
CC BY-SA 4.0
ISBN
978-3-947732-36-4
Size
19.3 x 26.0 cm
Pages
618
Keywords
Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
Category
Kunst und Kultur
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