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Reinmar Emans
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nicht.8 Vieles spricht aber dafür, dass die Hofkapelle erst 1684 oder allenfalls bereits im
Herbst 1683 im Zuge eines z. T. neustrukturierten und von 145 auf 180 Bedienstete er-
weiterten Hofstaates eingesetzt wurde.9 Ob diese Neustrukturierung und Erweiterung
des Hofes auf Herzog Anton Ulrich zurückgeht, der dann ein Jahr später schließlich
zum gleichberechtigten Mitregenten neben Herzog Rudolf August werden sollte, lässt
sich nicht belegen, dürfte aber wahrscheinlich sein.10
Wie konnte man mit diesen wenigen Musikern die ab 1684 in Wolfenbüttel bzw.
Salzdahlum nachweislich stattfindenden Opernaufführungen adäquat besetzen? 1684
und 1685 sind immerhin Aufführungen von zwei »Singespielen« sowie einer Oper von
Jean-Baptiste Lully, die Proserpine, nachweisbar;11 von letzterer ist allerdings kein Li-
bretto erhalten, das uns über Besetzung u.ä. der Wolfenbütteler Aufführung Auskunft
geben könnte. Der beständige Orpheus, der anlässlich der Eheschließung zwischen Au-
gusta Dorothea und Anthon Günter
II. von Schwarzburg-Sonderhausen 1684 »Auf dem
Lust=Hause Saltzthalem« gegeben wurde, und Davids und Jonathans treuer Liebe Be-
ständigkeit (1685) vielleicht auf einen Text von Anton Ulrich, für deren Musik dann
wohl Johann Theile verantwortlich zeichnete, helfen bei der Besetzungsfrage etwas
weiter. Zwar schweigt sich das Libretto des zweiten Singspiels leider über dessen Auf-
führungsort aus, doch wird erkennbar, dass das normale Kapellpersonal für eine eini-
germaßen adäquate Aufführung wohl eigens aufgestockt werden musste, denn beide
Singspiele besetzen immerhin zehn Rollen und verlangen mehrere Chöre. Die Hinzu-
ziehung von externen Sängern ist freilich auch in den 1690er-Jahren wohl eher die
Regel als die Ausnahme, insofern wird man es zu dieser frühen Zeit nicht anders ge-
halten haben. Sparsame Szenenwechsel und der Verzicht auf Maschinen jeglicher Art
beim zweiten Singspiel ermöglichen eine Aufführung ohne aufwändige Bühnenkons-
truktion. Im beständigen Orpheus allerdings fliegen Phoebus mit seinem Wagen (I/5)
und wenig später Mercurius (I/10) durch die Luft und ein Gewitter (I/7) entsteht, wel-
ches den Berg Haemus spaltet. Auch eine Meerschlange »kompt auß der See herfür«
(III/7). Da das berühmte Salzdahlumer Schloss zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal
8 Dieses Dokument relativiert die bis dato berechtigte Aussage von Friedrich Chrysander, es lasse sich
»über Rosenmüller und dessen hiesige Wirksamkeit nicht die geringste Nachricht auffinden« (Chry-
sander 1863, S.
184). Dass Rosenmüller wirklich erst 1684 nach Wolfenbüttel kam, vermutet auch Mar-
kus Berger aufgrund seiner Forschungen zu Rosenmüller in Venedig, die er freundlicherweise kommu-
nizierte.
9 Eine Kammerdisposition vom Oktober 1683, die von Michaelis 1682 bis Michaelis 1683 reicht, entbehrt
jeglichen Hinweises auf eine Vergrößerung der Hofkapelle (NLA WO, Sig. 4 Alt 19, Nr.
4705, ohne Foli-
ierung). Doch wurden 1684 lediglich »5 Musicanten« mit einer neuen »Liebereÿ« eingekleidet, so dass
der Kapellmeister sowie ein weiterer Musiker bereits im Jahre zuvor eingekleidet worden sein könnten
(NLA WO, Sig. 4 Alt 19, Nr.
4706, ohne Foliierung).
10 Hierfür spräche auch, dass 1684 erstmals der Maler Tobias Querfurt und zwei Bildhauer erwähnt wer-
den, die auf ein verstärktes Interesse an Bühnendekor bei den im gleichen Jahr initiierten musikalischen
Präsentationen hindeuten könnten.
11 Siehe Chrysander 1863, S. 200.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Title
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Subtitle
- Hof – Oper – Architektur
- Authors
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Editor
- Matthias Müller
- Publisher
- Heidelberg University Publishing
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Size
- 19.3 x 26.0 cm
- Pages
- 618
- Keywords
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Category
- Kunst und Kultur