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Carlos María Solare
344 Nach dem Tod von Königin Margarita 1611 fanden am Hof Aufführungen dramati-
scher Werke statt, die von Mitgliedern des Hofes und der königlichen Familie gespielt
wurden. Die Organisation und Durchführung derselben oblag dem valido (Günstling)
des Königs, Francisco de Sandoval, Herzog von Lerma. Einige Aufführungen, für die
besonders ausführliche Beschreibungen erhalten sind, fanden während der Aufenthalte
des Hofes im Schloss von Lerma statt. Am 3.
November 1614 wurde dort die dreiaktige
comedia von Lope de Vega El premio de la hermosura gegeben.
Das pastorale Ambiente des Werkes entsprach demjenigen des Aufführungsortes, der
Parkanlage am Schloss von Lerma. Dort wurde eine Freilichtbühne gebaut, die mit einfa-
cher Maschinerie und bemalten Dekorationen ausgestattet war. Drei Gruppen von Mu-
sikern – Bläser, Streicher und Sänger – waren in einer dreistöckigen Seitengalerie plat-
ziert. Der neunjährige Kronprinz übernahm die Rolle des Cupido, der den titelgebenden
Schönheitspreis an die Nymphe Aurora verleiht. Er wurde auf einer Bühnenmaschine,
die eine Wolke darstellte, herabgelassen, und anschließend wieder heraufgezogen. Beide
Vorgänge wurden von einem musikalischen Zwischenspiel begleitet, denn schließlich
war Bühnenmusik unter anderem dazu da, Maschinengeräusche zu überdecken!
Diese Aufführung markiert
– wie es Sebastian Neumeister formulierte
– »den Auf-
tritt der antiken Götter auf der spanischen Hoftheaterbühne«4 sowie die Anfänge einer
theatralischen Gattung, die sich als ideal für die Verherrlichung der königlichen Familie
erweisen sollte: der comedia mitológica. Durch die in diesen Werken wiederholt ent-
haltenen Anspielungen auf antike Stoffe wurde die Aufmerksamkeit der höfischen Zu-
schauer gewonnen und deren Bildung geschmeichelt. Das Auftreten der Götter erlaubte
einen Blick auf die metaphysischen Aspekte der menschlichen Existenz, jedoch anders
als bei den autos sacramentales (Fronleichnamsspielen) geschah dies nicht mittels alle-
gorischer Erscheinungen, sondern durch konkrete Personen, mit denen sich die Mit-
glieder der Königshäuser durchaus identifizieren konnten. Zu diesem Zweck wurden
die tradierten, bekannten Handlungen entsprechend adaptiert. Alle europäischen Höfe
benutzten neben den traditionellen feudalen Symbolen auch diese kodifizierte Sprache
als Mittel der Selbstverherrlichung.
Philipp IV., ein theaterliebender König
Im Jahr 1621 bestieg der Kronprinz als Philipp IV. den Thron. Unter seiner Herrschaft
sollte das spanische Theater seine höchste Blüte erreichen. Anders als seine Eltern war
Philipp ein leidenschaftlicher Theatergänger: Er besuchte häufig die corrales de come-
dias und forderte außerdem viel mehr als sein Vater die Aufführungen von erfolgrei-
chen Stücken am Hof. Die Liebe Philipps zum Theater wurde von seinem valido Gaspar
4 Vgl. Neumeister 2001, S. 197.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Title
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Subtitle
- Hof – Oper – Architektur
- Authors
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Editor
- Matthias Müller
- Publisher
- Heidelberg University Publishing
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Size
- 19.3 x 26.0 cm
- Pages
- 618
- Keywords
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Category
- Kunst und Kultur