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– Im eher sakralen (humanistischen, ethnologischen) Verständnis bedeutet
»Mythos« eineGeschichte, die vonGötternundHeldenhandelt5– im letz-
terenFallwäre esdemnacheineSage.
– ImeherpolitischenDeutungsgebrauchverstehtmanunter »Mythos«hinge-
gen eineausgeschmückteGeschichte, dieHerrschaft festigen soll.– Indie-
semVerständnis rücktderMythos indieNäheder Ideologie.
Diese drei Bedeutungsfelder weisen in der Praxis häufig inhaltliche Über-
schneidungen auf. Historische Personen, fiktive Figuren, Ereignisse, Orte, In-
stitutionen,Ideen–alleskannzumMythoswerden.RolandBartheshatinseinen
1957 erschienenen »Mythologies« gezeigt, dass dasMythische nicht auf einen
antikenKanonbegrenzt ist. Dabei ist er ebennicht zu verwechselnmit einem
geschichtlichen Irrtum,denn»derMythosverbirgt nichtsundstellt nichts zur
Schau.Erdeformiert.DerMythosistwedereineLügenocheinGeständnis.Erist
eineAbwandlung.«6Esistnichtso,dassderMythoseineprimitiveVorformder
Geschichtewäre,vielmehrstehterparallelnebenihr.Ebensoweniggibteseine
TeleologievomMythoszumLogos.DerMythosdefiniertsichnichtdurchseinen
Inhalt,sonderndurchdieArtundWeise,wieerdasMythischefasst.FürBarthes
sinddieGrenzendesMythosnicht inhaltlicher, sondern formalerNatur.7Ent-
scheidend ist, auf welcheWeise er sinnstiftend wirkt – etwa, indem erWelt-
deutungenbietet,Normentradiert, IdentitätsangebotemachtoderKomplexität
reduziert.BarthesverstehtMythenalssemiotischeOrdnungen,dieGewordenes
als etwasEwiges undUnveränderbares erscheinen lassen.DerMythospräsen-
tiert gesellschaftlicheVerhältnisse als »natürlich«, indemer ihre innereHisto-
rizität leugnet. Insofern ist ein »Geschichtsmythos« eigentlich ein Paradoxon,
dennderMythosbezieht sich zwar immeraufdieVergangenheit,8doch inner-
halbdesMythos stehtdieZeit still.9
Geschichtsmythen schaffen insbesondere den narrativen Zusammenhalt
einer Gemeinschaft und binden die Gegenwart an eine sinngebende Vergan-
genheit zurück. AuchHerfriedMünkler hat diesen legitimierendenCharakter
von Mythen herausgestellt, mit denen sie bestehende politische Ordnungen
bekräftigenundGemeinschaften eine Identität verleihen.10 ImProzessderNa-
5 Vgl.v.a.MirceaEliade,DasHeiligeunddasProfane.VomWesendesReligiösen,Frankfurtam
Main: InselVerlag, 1998 (Paris 1965); ders.,MythosundWirklichkeit, Frankfurt amMain:
InselVerlag, 1988 (Paris 1963).
6 RolandBarthes, »MythendesAlltags« (1957), in:Mythentheorie, 91–105, 99.
7 RolandBarthes,MythendesAlltags, Frankfurt amMain: Suhrkamp, 1964, 85.Neuauflage
undvollständigeAusgabe:Frankfurt amMain,Berlin: Suhrkamp,2010.
8 ClaudeL8vi-Strauss, »DieStrukturderMythen« (1955), in:Mythentheorie, 59–74, 62.
9 ErnstCassirer,Philosophie der symbolischenFormen.ZweiterTeil: DasmythischeDenken,
Hamburg:FelixMeiner, 2010, 124–125.
10 HerfriedMünkler,DieDeutschenund ihreMythen, Berlin:Rowohlt, 2009.
RolandBernhardetal.12
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher